Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6 / 48 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6 / 48 Next Page
Page Background

Geigenunterricht in Zofingen. Er bezeichnet es rück-

blickend als enormen Glücksmoment, als er mit 12 Jah-

ren an Weihnachten eine Gitarre bekam. «Eine tiefe

Sehnsucht wurde erfüllt. Doch hatte ich genug von Vico

Torriani und von Schlagern wie ‹Das alte Haus von

Rocky Docky›, ich wollte amerikanische Musik ma-

chen.» Er improvisierte viel und versuchte, inspiriert

von Elvis, so zu singen wie dieser. Erste Auftritte hatte er

an den von seinemVater organisierten Familienabenden

im grossen Bahnhofsaal Rheinfelden, wo Talente der

Gemeinde auftreten durften. Er war Vorsänger in einem

Gospelchor und trat zusammen mit seinem Bruder in

der gemeinsamen Band in der Region Basel auf. Doch

die Zeit war damals nicht reif, um die Musik zu seinem

Beruf zu machen. Vielseitig interessiert, studierte er

nach Abschluss der Matura am Humanistischen Gym-

nasium Basel (1966) Jus mit öffentlichem Recht als

Spezialgebiet.

Afrika hautnah spüren

Sein besonderes Interesse galt den Menschenrechten

und den Rechtssystemen in anderen Ländern. Auf An-

regung seines Professors befasste er sich in seiner Disser-

tation mit der Frage, was man rechtlich dazu beitragen

kann, damit neue, vor allem afrikanische Staaten mit

verschiedenen Sprachen und Kulturen nicht wieder aus-

einanderfallen. Schon vor dieser Arbeit hatte er nach

dem Studium sechs Monate in Afrika verbracht. Das

Geld für die Reise hatte er als Volontär bei verschiedenen

grossen Zeitungen verdient. Afrika wurde sein grosses

Abenteuer. «Zusammen mit Sprachforschern lebte ich

in einem kleinen Dorf im Nordosten von Nigeria, einer

Region, die heute von den Boko Haram terrorisiert wird.

Das Land mit seiner Weite faszinierte mich enorm.» Ge-

trieben von seiner Neugier, seiner Abenteuer- und Ent-

deckerlust arbeitete er danach acht Jahre als Dozent für

Staats- und Verfassungsrecht an der Universität Maidu-

guri in Nigeria. Er wollte einen Beitrag zur Rechtsstaat-

lichkeit und den Menschenrechten im muslimischen

Land leisten und daneben Afrika hautnah spüren.

Mit ungebrochener Begeisterung schildert er seine

Erfahrungen: «Es war die tollste Zeit meines Lebens. Ich

war jung, offen und traute mir viel zu. Ich stand voll im

Leben und war in die Gesellschaft integriert, sodass mir

meine weisse Hautfarbe gar nicht mehr bewusst war. Ich

konnte machen, was mir wichtig war und was mich er-

füllte. Ich könnte Bücher mit meinen Erlebnissen füllen.»

Eine Gratwanderung

Das Einleben in der Schweiz nach acht Jahren Afrika war

für Heinrich Müller sehr hart. «In Afrika hatte ich sehr

viel Freiheit. In der Schweiz war alles enorm eng, für

mich ungewohnt grün, und die Leute wirkten unzufrie-

den, obwohl sie alles hatten. Auch der Einstieg beim

Fernsehen war nicht einfach. Ich musste mich wieder an

schweizerische Massstäbe gewöhnen.» Eigentlich wollte

er beim Schweizer Fernsehen so oft wie möglich ins

Ausland reisen und Reportagen verfassen. Da aber in der

«Tagesschau» ein Moderator gesucht wurde, moderierte

er von 1984 bis 2007 auch die «Tagesschau».

Bei seinen Reportagen suchte er die Nähe des

Geschehens und der Leute, was ihn emotional oft sehr

herausforderte. «Die Zuschauenden am Bildschirm

können nie nachvollziehen, wie brutal und schlimm die

Realität sein kann.» Beim Moderieren versuchte er

jeweils einen Mittelweg zwischen dem Intellektuellen,

6

Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 17