Geigenunterricht in Zofingen. Er bezeichnet es rück-
blickend als enormen Glücksmoment, als er mit 12 Jah-
ren an Weihnachten eine Gitarre bekam. «Eine tiefe
Sehnsucht wurde erfüllt. Doch hatte ich genug von Vico
Torriani und von Schlagern wie ‹Das alte Haus von
Rocky Docky›, ich wollte amerikanische Musik ma-
chen.» Er improvisierte viel und versuchte, inspiriert
von Elvis, so zu singen wie dieser. Erste Auftritte hatte er
an den von seinemVater organisierten Familienabenden
im grossen Bahnhofsaal Rheinfelden, wo Talente der
Gemeinde auftreten durften. Er war Vorsänger in einem
Gospelchor und trat zusammen mit seinem Bruder in
der gemeinsamen Band in der Region Basel auf. Doch
die Zeit war damals nicht reif, um die Musik zu seinem
Beruf zu machen. Vielseitig interessiert, studierte er
nach Abschluss der Matura am Humanistischen Gym-
nasium Basel (1966) Jus mit öffentlichem Recht als
Spezialgebiet.
Afrika hautnah spüren
Sein besonderes Interesse galt den Menschenrechten
und den Rechtssystemen in anderen Ländern. Auf An-
regung seines Professors befasste er sich in seiner Disser-
tation mit der Frage, was man rechtlich dazu beitragen
kann, damit neue, vor allem afrikanische Staaten mit
verschiedenen Sprachen und Kulturen nicht wieder aus-
einanderfallen. Schon vor dieser Arbeit hatte er nach
dem Studium sechs Monate in Afrika verbracht. Das
Geld für die Reise hatte er als Volontär bei verschiedenen
grossen Zeitungen verdient. Afrika wurde sein grosses
Abenteuer. «Zusammen mit Sprachforschern lebte ich
in einem kleinen Dorf im Nordosten von Nigeria, einer
Region, die heute von den Boko Haram terrorisiert wird.
Das Land mit seiner Weite faszinierte mich enorm.» Ge-
trieben von seiner Neugier, seiner Abenteuer- und Ent-
deckerlust arbeitete er danach acht Jahre als Dozent für
Staats- und Verfassungsrecht an der Universität Maidu-
guri in Nigeria. Er wollte einen Beitrag zur Rechtsstaat-
lichkeit und den Menschenrechten im muslimischen
Land leisten und daneben Afrika hautnah spüren.
Mit ungebrochener Begeisterung schildert er seine
Erfahrungen: «Es war die tollste Zeit meines Lebens. Ich
war jung, offen und traute mir viel zu. Ich stand voll im
Leben und war in die Gesellschaft integriert, sodass mir
meine weisse Hautfarbe gar nicht mehr bewusst war. Ich
konnte machen, was mir wichtig war und was mich er-
füllte. Ich könnte Bücher mit meinen Erlebnissen füllen.»
Eine Gratwanderung
Das Einleben in der Schweiz nach acht Jahren Afrika war
für Heinrich Müller sehr hart. «In Afrika hatte ich sehr
viel Freiheit. In der Schweiz war alles enorm eng, für
mich ungewohnt grün, und die Leute wirkten unzufrie-
den, obwohl sie alles hatten. Auch der Einstieg beim
Fernsehen war nicht einfach. Ich musste mich wieder an
schweizerische Massstäbe gewöhnen.» Eigentlich wollte
er beim Schweizer Fernsehen so oft wie möglich ins
Ausland reisen und Reportagen verfassen. Da aber in der
«Tagesschau» ein Moderator gesucht wurde, moderierte
er von 1984 bis 2007 auch die «Tagesschau».
Bei seinen Reportagen suchte er die Nähe des
Geschehens und der Leute, was ihn emotional oft sehr
herausforderte. «Die Zuschauenden am Bildschirm
können nie nachvollziehen, wie brutal und schlimm die
Realität sein kann.» Beim Moderieren versuchte er
jeweils einen Mittelweg zwischen dem Intellektuellen,
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Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 17