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Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 17
Von MoniKa FiScher
«Das Thema Freundschaft geht mir sehr nahe. Gerade
heute Morgen habe ich mir Gedanken darüber gemacht,
welche Menschen angesichts unserer schwierigen
Lebenssituation noch Anteil nehmen und wer bei all
den Herausforderungen nicht mehr mithalten kann.
Das waren eben keine wirklichen Freunde.» So antwor-
tete Bernadette Inauen (1954) auf die Anfrage zu einem
Gespräch über das Thema Freundschaft. Wenige Tage
später sahen wir uns von Weitem auf der Strasse:
Bernadette Inauen beladen mit einem Rucksack und
zwei schweren Taschen, daneben ihr Mann Franz an
zwei Stöcken gehend.
Es war vor zehn, vielleicht 15 Jahren, als sie bei ihrem
Mann die ersten Anzeichen vermehrter Vergesslichkeit
bemerkte. Alarmiert wurde sie aber vor sechs Jahren, als
die Kinder ernüchtert sagten: «Was sollen wir demVater
noch erzählen, er vergisst ja sowieso wieder alles.» Auch
sie hatte ein Schlüsselerlebnis, bei dem sie merkte:
«Etwas stimmt nicht mehr.» Nach dem Auszug der drei
erwachsenen Kinder aus dem Elternhaus sagte sie zu
ihrem Mann: «Nun beginnt auch für uns ein neuer
Lebensabschnitt. Damit müssen wir uns auseinander-
setzen.» «Jaja», antwortete ihr Mann, ohne auf ihre
Bemerkung einzugehen. Eine irritierende Reaktion in
einer Beziehung, in der Austausch und Kommunikation
stets wichtig waren.
Nachdem ihr Mann vorübergehend kurz seine Spra-
che verloren hatte, folgten verschiedene Abklärungen
und Tests. «Demenzielle Entwicklung» lautete die un-
klare Diagnose. Kurz vor der Pensionierung musste
Franz Inauen seine Arbeitsstelle als Seelsorger aufgeben.
Seither blieb sein Zustand ziemlich stabil. Er ist oft
fröhlich, kann mit den Menschen reden und sich selber
pflegen. Wirklich kommunizieren, strukturieren und
planen kann er aber nicht mehr und ist auch unsicher
beim Gehen. Wenn ihm seine Frau aufschreibt, was zu
Bernadette Inauen-Wehrmüller schätzt es, mit ihren Freundinnen über alles reden zu
können, was sie bewegt und berührt. Besonders wichtig ist ihr dies in schwierigen
Lebenssituationen wie etwa im Umgang mit der schweren Krankheit ihres Mannes.
Kraft, Freude
und Vertrautheit
tun ist, erledigt er diese Arbeiten gemäss ihren Anwei-
sungen zuverlässig.
Die veränderte Lebenssituation verbunden mit der
ungewissen Zukunft belastet Bernadette Inauen. In den
damit verbundenen Krisen und bei der kürzlich erfolg-
ten Hirnoperation spürte sie die Bedeutung von Freund-
schaften besonders stark. Allerdings ärgert sie sich über
die inflationäre Verwendung des Begriffs. Dies betrifft
nicht nur die Tausenden von Freunden bei Facebook,
sondern auch den losen Umgang mit dem Thema, wo
zum Beispiel hohe Politiker andere Staatsmänner rasch
als Freunde bezeichnen.
Offen und ehrlich über alles reden
Bei ihren verschiedenen Tätigkeiten als Lehrerin,
Familienfrau, Organistin, bei der Bildungsarbeit mit
Frauen und ihrer aktuellen Migrationsarbeit erfährt sie
viele gute und wertvolle Beziehungen. Doch fehlt ihr die
Zeit, diese auch wirklich zu pflegen. Deshalb verlieren
sie sich wieder. Anders erfährt sie es mit ihren Freundin-
nen, die sie seit Jahrzehnten begleiten. «Mit ihnen kann
ich offen und ehrlich über alles reden, was mich berührt
und zutiefst betrifft. Dies können Alltagsthemen sein,
meine Sorgen, Freuden und Ängste, aber auch spiri-
tuelle Themen. Damit meine ich die Frage nach dem,
was uns schlussendlich hält und bewegt.» Immer wieder
hört sie von ihren Freundinnen den Satz: «Was ich mit
dir besprechen kann, wäre mit einer anderen Person
nicht möglich.»
Für Bernadette Inauen hängt eine gute Freundschaft
nicht davon ab, wie oft man zusammen ist. Wichtig
findet sie hingegen, sich gegenseitig zu akzeptieren und
mit den individuellen Bedürfnissen zu respektieren. Bei
ihrem intensiven Lebensalltag hat sie zum Beispiel oft
das Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein und freut sich,
wenn ihre Freundinnen sie verstehen.