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zahlreiche kommensale Mikroorganismen,
deren dichte Besiedlung die Kolonisierung
von Pathogenen einschränkt („colonization
resistance“). Dies geschieht über eine Kon-
kurrenz von Nährsto en, Produktion antimi-
krobieller Peptide, Unterstützung bei Wachs-
tum und Veränderung der Epithelober äche
und Beein ussung der gastrointestinalen
Motilität. Die Bedeutung der Mikrobiota als
Schutzfaktor gegenüber pathogenen Mikro-
organismen zeigt sich, wenn Bakterien z.B.
durch eine antibiotische Therapie reduziert
werden und sich pathogene Keime wie Clos-
tridium di cile leichter vermehren und eine
antibiotika-assoziierte Diarrhoe verursachen.
Eine weitere wichtige Komponente stellen
Paneth-Zellen dar, die über die Bildung von
antimikrobiellen Sto en (Lactoferrin, Lyso-
zym, Defensine) auch die Vermehrung von
Mikroorganismen in unmittelbarer Nähe des
Darmepithels einschränken. Neben diesen
Barrierefunktionen verfügt der Darm über
eine eigene Immunabwehr, das darmasso-
ziierte Immunsystem (GALT, gut associated
lymphoid tissue). Dieses stellt mit ca. 70–80%
aller immunkompetenten Zellen den größ-
ten Pool an Immunzellen in unserem Körper
dar. Aufgabe des GALT ist es, pathogene Mik-
roorgansimen abzuwehren und gleichzeitig
tolerant gegenüber einer Vielzahl von Nah-
rungsmittelantigenen und nützlichen Mik-
roorganismen unserer Darmmikrobiota zu
sein. Eine Fehlfunktion oder Schädigung der
Darmbarriere kann einerseits eine erhöhte
Infektanfälligkeit gegenüber Pathogenen
zur Folge haben. Zum anderen kann es zu
einer unkontrolliert hohen Penetration von
Inhalt Frühkindliche Darmgesundheit
Abb. :
E ekte der Mikrobiota [3]
Positive E ekte der Mikrobiota
Schutz vor Pathogenen/Beteiligung an der
Darmbarriere
Bildung von kurzkettigen Fettsäuren
Synthese von Vitaminen und Nährsto en
Ein uss auf den enterohepatischen Kreislauf
verschiedener Substanzen (Östrogen, Choleste-
rin, Billirubin, Gallensäure, Morphin, Rifampicin,
Digoxin ...)
Aufbau von Harnsto
Metabolismus von Medikamenten
Ein uss auf die Entwicklung des Immunsystems
und das enterische Nervensystem
Negative E ekte der Mikrobiota
Konkurrenz um Kalorien und Nährsto e
Produktion von schädlichen Metaboliten (Karzi-
nogene, dekonjugierte Gallensäuren ...)
Exazerbation von entzündlichen Erkrankungen
Schleimhautschädigung
bidirektionalen nervalen, humoralen und
immunologischen Interaktionen werden
unter dem Begri „Mikrobiom-Darm-Hirn-
Achse“ zusammengefasst. Der Ein uss der
Mikrobiota auf unser Verhalten, unser Wohl-
be nden als auch auf diverse neurologische
und psychiatrische Erkrankungen ist Gegen-
stand intensiver Forschung. Assoziationen
zu Schmerzwahrnehmung, Angst, Stress,
Depression, Autismus, Guillain-Barré-Syn-
drom und Multipler Sklerose sind beschrie-
ben. [32] Die genauen Zusammenhänge und
ob die Dysbiose Ursache oder Wirkung ist,
müssen noch geklärt werden.
Mikrobielle und diätetische Möglichkeiten
der Intervention
Bei den vielfältigen Funktionen der Mikro-
biota und der Assoziation von Dysbiose mit
zahlreichen Erkrankungen drängt sich die
Frage auf, ob und wie sich das intestinale
Ökosystem des Darms beein ussen lässt, um
gesundheitsfördernde, präventive und thera-
peutische E ekte zu erzielen.
Mütterliche Mikrobiota
Da die Zusammensetzung der mütterlichen
Mikrobiota die Kolonisierung des kindlichen
Darms beein usst, stellt sie einen mögli-
chen Angri spunkt bei der Prävention einer
Dysbiose bei Nachkommen dar. So konnten
einige Studien zeigen, dass der Kontakt von
Schwangeren mit Stalltieren bzw. das Trinken
von unbehandelter Kuhmilch zu einem ver-
ringerten Risiko für die Entwicklung von Aller-
gien bzw. Asthma beim Kind führen. [33] Für
generelle Empfehlungen bzw. Maßnahmen,
wie die Inokulation von Sectio-Kindern mit
Vaginalsekret, ist die Datenlage derzeit noch
nicht ausreichend.
Probiotika
Probiotika wurden aufgrund mehrerer positi-
ver Metaanalysen als mögliche Option für die
Behandlung in die Leitlinien der Deutschen
Gesellschaft für Verdauungs- und Sto wech-
selkrankheiten zum Reizdarmsyndrom auf-
genommen. Neben dem Reizdarmsyndrom
gelten Durchfallerkrankungen und Antibio-
tika-assoziierte Diarrhöen als besonders gut
Antigenen kommen bzw. die Ausbildung
einer immunologischen Toleranz beein usst
werden, wodurch Krankheiten entstehen
können. Die zunehmende Prävalenz von
Allergien in westlichen Ländern wird unter
anderem mit Veränderungen in der Darmmi-
krobiota, der eine Schlüsselrolle in Immunre-
gulation und Toleranzinduktion in den ersten
Lebensjahren zugeschrieben wird, in Verbin-
dung gebracht. Keimfrei aufgezogene Tiere
weisen eine verminderte Dichte an Immun-
zellen in der Darmschleimhaut, verkleinerte
periphere lymphatische Organe und gerin-
gere Immunglobulinspiegel auf. [24, 25] In
diesen Tieren ohne Darmbesiedelung ist das
Erreichen einer oralenToleranz schwierig. [26]
Die Gabe von Lipopolysacchariden (LPS), die
Bestandteil der Membran von gramnegativen
Bakterien sind, zusätzlich zu den Nahrungs-
mittelantigenen verbessert die Toleranzent-
wicklung. [27] Auch die orale Gabe von lysier-
ten Bakterien (Enterococcus faecalis und E.
coli) an neugeborene Ratten konnte die Ent-
wicklung von Nahrungsmittelallergien redu-
zieren. [28] Vergleichbar mit der deutlicheren
Zunahme der Prävalenz von Allergien in der
westlichenWelt imVergleich zu Entwicklungs-
ländern, zeigen Studien auch starke geogra-
phische Unterschiede in der Zusammenset-
zung der Darmmikrobiota. Insbesondere die
verminderte Diversität der Mikrobiota, verur-
sacht durch vermehrte Hygiene, Antibiotika-
Gebrauch, kleinere Familien, undVeränderun-
gen in Ernährung und Lebensstil, dürfte eine
Bedeutung in der Pathogenese von Allergien
haben. [24] So zeigten einige Studien Assozi-
ationen zwischen einer verminderten bakteri-
ellen Diversität und einem erhöhten Risiko für
eine atopische Dermatitis, allergische Rhinitis
bzw. Sensibilisierung. [29–31] Generell sind
die Studienergebnisse zu diesemThema aber
nicht einheitlich und es bedarf weiterer For-
schung, um die möglichen Zusammenhänge
zwischen Mikrobiota und allergischen Erkran-
kungen besser zu verstehen.
„Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse“
Der gesunde, reife Darm beheimatet etwa
100 Millionen Neuronen und somit mehr
als das Rückenmark. Das enterische Nerven-
system, auch als „Darmhirn“ oder „gut brain“
bezeichnet, kommuniziert über chemische
Sensoren mit der Darmmikrobiota, während
die Mikroben des Darms wiederum Ein üsse
auf das zentrale Nervensystem haben. Diese