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Arzt Kind

fermentierbare Nahrungsquelle für ihr eigenes

Wachstum verwenden und dabei nützliche

Nebenprodukte für den Menschen erzeugen.

Zu diesen Nebenprodukten zählen kurzkettige

Fettsäuren, die in weiterer Folge im Dickdarm

resorbiert werden. Ca. 10% der aufgenomme-

nen Kalorien aus einer westlichen Ernährung

entstammen diesem Prozess. Entwicklungs-

geschichtlich ist eine Mikrobiota mit erhöhter

Kapazität zur Utilisation von Energie aus der

Nahrung ein großer Vorteil, da Nahrungsmit-

telknappheit zum Alltag unserer Vorfahren

gehörte. Im Gegensatz dazu steht die übermä-

ßigeKalorienzufuhrvielerMenscheninderwest-

lichen Welt. Adipositas mit ihren Begleiterkran-

kungen stellt ein großes Gesundheitsproblem

dar. Eine selektive Manipulation der Mikrobiota

könnte ein vielversprechender therapeutischer

Ansatz in der Behandlung von Adipositas sein.

Neben ihrer Rolle in der Kohlenhydratverdau-

ung stellt die Mikrobiota auch eine Vielzahl an

Mikronährsto en (z.B. Vitamin B12, Vitamin K,

Folsäure) bereit, die der Mensch nicht selbst her-

stellen kann. Manche Bakterien verwerten auch

Gallensäuren, was ein wichtiger Schritt in der

Homöostase des Gallensäuresto wechsels ist.

Regelrechte Motilität

Die Motilität des Gastrointestinaltraktes ist

ein wichtiger Aspekt der Darmfunktion. Sie

wird durch Nahrung, das autonome Nerven-

system des Darms, gastrointestinale Hor-

mone und durch die Zusammensetzung der

Darmmikrobiota beein usst.

Barrierefunktion / Immunorgan

Der Darm als größte Schnittstelle zur Umwelt

bedarf spezi scher Barriere- und Immun-

mechanismen, die einerseits den Körper vor

Pathogenen schützen und auf der ande-

ren Seite eine selektive Kommunikation des

Organismus mit der Umwelt ermöglichen.

Diese funktionelle Einheit aus Schleimhaut,

Mikrobiota und darmassoziierten Immun-

system wird als Darmbarriere bezeichnet.

Die einzellige Epithelschicht ist luminal von

einer 2-schichtigen Schutzschicht aus Mukus

umgeben. Die kompakte innere Schicht ist für

Bakterien imNormalfall undurchdringbar und

minimiert den direkten Kontakt des intestina-

len Epithels mit luminalen Mikroorganismen.

Die aufgelockerte äußere Schicht hinge-

gen bietet einen attraktiven Lebensraum für

nachgewiesen werden. Dabei leistete die

Therapie mit Penicillin einen Beitrag zur Ent-

wicklung von Fettleibigkeit und reduzierten

Expression von Genen, die für das Immunsys-

tem von Bedeutung sind. Die E ekte waren

umso ausgeprägter, je jünger die Mäuse bei

der antibiotischen Therapie waren. Nach

Transplantation der durch Antibiotika verän-

derten Mikrobiota auf keimfreie Mäuse konn-

ten selbige E ekte beobachtet werden. [23]

Diese Studien liefern weitere Evidenz für die

Bedeutung einer vielfältigen Darmbesiede-

lung auf Gesundheit und Krankheit.

Funktionen des gesunden Gastrointesti-

naltraktes – Dysbiose und ihre Folgen

Die vielfältigen Funktionen des Gastrointes-

tinaltraktes sind eng mit dessen mikrobieller

Besiedelung verknüpft. So beruht die Darm-

gesundheit auf einem vielfältigen und aus-

geglichenen, stabilen, gut funktionierenden

mikrobiellem Ökosystem. Eine Störung oder

ein Ungleichgewicht in diesem Ökosystem,

als Dysbiose bezeichnet, wird mit zahlreichen

metabolischen, immunologischen sowie psy-

chologischen Beeinträchtigungen und diver-

sen Erkrankungen inVerbindung gebracht. Die

Bedeutung der Mikrobiotawird unter anderem

durch deren Fehlen und somit aus Untersu-

chungen am keimfreien Darm ersichtlich.

Verdauung / Nährsto aufnahme /

Metabolische Funktionen der Mikrobiota

Der gesunde Gastrointestinaltrakt bewerkstel-

ligt eine e ektive und e ziente Nahrungs-

verdauung und absorbiert Nährsto e und

Flüssigkeit, um die nutritiven Bedürfnisse des

Körpers zu erfüllen. Dies wird durch eine Ober-

ächenvergrößerung mittels Falten, Zotten und

Mikrovilli ermöglicht, die den Dünndarm zum

Organ mit der größten Ober äche (ca. 200 m²,

entspricht beim Erwachsenen der Größe eines

Tennisfeldes) machen. Auch die Darmmikrobi-

ota leistet einen Beitrag an der e zienten Ver-

dauung und Regulation der Energiehomöos-

tase. Darmbakterien produzieren eine Vielzahl

von Enzymen (z.B. Glykosidhydrolasen), welche

komplexe p anzliche Kohlenhydrate (Glykane)

versto wechseln können. Dem menschlichen

Genom fehlen diese Enzyme. Es herrscht eine

symbiotische Wirt-Mikrobiom-Beziehung: Vor-

wiegend im Dickdarm lokalisierte Bakterien

können unverdauliche Nährsto e als eine leicht

mikrobiota in ihrer Komplexität und Diver-

sität gefestigt und ähnelt beinahe der des

Erwachsenen. [4] Auch wenn nach diesem

Zeitpunkt Faktoren, wie Diät, Krankheit oder

Medikamente zwischenzeitliche Änderungen

mit sich bringen können, bleibt diese adulte

Mikrobiota nach der frühkindlichen Entwick-

lung überwiegend stabil, was die Bedeutung

dieses Zeitraums unterstreicht.

Folgen von Antibiotika-Therapien

So gut wie alle Antibiotika haben einen Ein-

uss auf die Zusammensetzung und Funkti-

onalität der Mikrobiota. Das Ausmaß ist vom

Antibiotikum und dessen antimikrobiellem

Wirkspektrum, Dosierung, Dauer derTherapie

und Art der Verabreichung abhängig. Ampi-

cillin oder Penicillin beispielsweise unterdrü-

cken die normale aerobe und anaerobe Flora,

inklusive Bi dobakterien, Streptokokken und

Laktobazillen und verursachen eine Überwu-

cherung mit Klebsiellen, Proteus und Can-

dida. Cefaclor, ein orales Cephalosporin, hat

hingegen bis auf eine Reduktion von Entero-

bakterien nur geringfügige Auswirkungen

auf die Mikrobiota. [3] Je nach Resilienz des

Ökosystems bessert sich dieses Ungleich-

gewicht 3 bis 6 Tage nach Beendigung der

Antibiotikatherapie wieder. Allerdings dürfte

es auch Langzeit-E ekte geben, da Ände-

rungen in der mikrobiellen Zusammenset-

zung auch 2 Jahre nach einer 1-wöchigen

antibiotischen Therapie beschrieben sind.

[20] Neben der antibiotika-assoziierten Diar-

rhoe durch Überwucherung mit Clostridium

di cile, gibt es zunehmend Daten über die

Folgen von antibiotika-bedingten Verände-

rungen der Mikrobiota. Eine in Großbritan-

nien durchgeführte Kohortenstudie an über

1 Million Kindern zeigte einen Zusammen-

hang zwischen Antibiotika und chronisch

entzündlichen Darmerkrankungen. Je häu-

ger diese Kinder mit Antibiotika behandelt

wurden und je jünger die Kinder bei der

antibiotischen Therapie waren, desto höher

war deren Risiko eine chronisch entzünd-

liche Darmerkrankung zu entwickeln. [21]

Eine andere multizentrische Kohortenstudie

zeigte, dass jeder Tag einer empirischen anti-

biotischen Therapie bei Frühgeborenen das

Risiko an einer NEC zu erkranken erhöht. [22]

In einer rezenten Studie konnte in Mäusen

auch ein Zusammenhang zwischen frühen

Antibiotikagaben

und

langanhaltenden

E ekten auf Immunsystem und Metabolis-

mus über eine Veränderung der Mikrobiota