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Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 17
«Machet den Zun nit zu wiit» und «Mischt euch nicht
in fremde Händel». Diese zwei Glaubenssätze haben wir
Schweizer sozusagen mit der Muttermilch aufgenom-
men. Sie beherrschten seit Jahrhunderten unsere Aus-
senpolitik. Bis zum Eintritt in die UNO 2002 war diese
praktisch eingefroren. Sie beschränkte sich auf die
Einhaltung der Neutralität und bestenfalls auf das
Offerieren der «Guten Dienste» an Verhandlungsorten
wie Genf, Lausanne und Locarno.
Wie Genf zur «Friedensstadt» wurde
Am 17. Februar 1863 gründeten fünf Personen, darun-
ter Henry Dunant und General Henri Dufour, in
Genf das «Internationale Komitee für die Hilfe an
Verwundeten» – das spätere Internationale Komitee
vom Roten Kreuz (IKRK). Bereits im Herbst 1863 tra-
fen sich Vertreter aus 16 Ländern zu einem internatio-
nalen Kongress in Genf. Man beschloss, in jedem Land
ein Hilfskomitee zu schaffen und den Freiwilligen und
Verwundeten auf dem Schlachtfeld eine neutrale Stel-
lung zu gewähren. Als Schutzzeichen wurde das Rote
Kreuz bestimmt – die farbliche Umkehrung des Schwei-
zer Wappens.
Ein Jahr später, am 22. August 1864, wurde auf
Initiative des Schweizer Bundesrats an einer inter-
nationalen Konferenz das erste Genfer Abkommen
von zwölf europäischen Staaten unterzeichnet, die
«Genfer Convention zur Verbesserung des Schicksals
der verwundeten Soldaten der Armeen im Felde».
Das «calvinistische Rom» genoss im 19. Jahrhundert
grosses Ansehen bei den aufstrebenden Industrie-
nationen England und USA. Daher lag es nahe, dass
sich diese beiden Nationen im Streitfall an die Genfer
Behörden und an Bundesrat Walther Stampfli als
Vermittler wandten. Es ging um die Schäden, welche
das in England hergestellte und im Auftrag der rebelli-
schen Südstaatenregierung agierende Handelsschiff
«Alabama» und weitere Schiffe im Sezessionskrieg
angerichtet hatten. Das Genfer Schiedsgericht legte
1872 für England eine Busse von 15,5 Millionen Dollar
in Gold fest. Der Grundstein für Genf als Friedensstadt
war gelegt. Seither heisst der schönste Saal im Genfer
Rathaus «Alabama-Saal».
Engagement für den Frieden
Zwischen 1871 (Bourbaki-Armee) und 1918 gab es
kaum einen Friedensprozess, an welchem die Schweiz
nicht beteiligt war. Sie wurde zur «Schutzmacht par
excellence», das heisst, sie übernahm den Schutz der
Kriegsbeteiligten für Nationen, die keine diploma-
tischen Beziehungen mehr miteinander haben. Sie hatte
freien Zugang zu Kriegsgefangenenlagern, übte den
Rechtsschutz bei Strafverfahren aus, überwachte
Lebensmittelsendungen und die Freiheit des Postver-
kehrs sowie die ärztliche Versorgung – meist in Zusam-
menarbeit mit dem IKRK.
Während des Ersten Weltkriegs übernahm sie 36
Mandate zur Interessenvertretung. Im Zweiten Welt-
krieg erreichte die Schutzmachttätigkeit der Schweiz
1943/1944 mit 219 Mandaten für 35 Staaten ihren
Höhepunkt. Später vertrat die Schweiz auch die Inte-
ressen der USA in Kuba und im Iran. Doch nicht alle
Friedensinitiativen waren erfolgreich.
Die internationale Aufgabe
und Ausstrahlung der Schweiz
Seit dem Mauerfall 1989 sucht sich die Schweiz eine neue Position in der Welt.
Weder die «Igel-Stellung» noch die Anlehnung an die USA waren Ideallösungen.
Wie kann sich die Schweiz eine einflussreichere Stellung verschaffen? Geht der
Trend in Richtung «internationale Drehscheibe für Konfliktlösungen»?
Dr. phil. Walter Steffen
ist historiker.
Geboren 1945 in Luzern, Städtisches
Lehrerseminar und Studien in zürich
und Bologna. 30 Jahre Lehrer für
Geschichte, italienisch und englisch
an den Lehrerseminarien Luzern und
hitzkirch. Seit der Pensionierung ist er
reiseleiter für italien.