Zenit Nr. 4, November 2022

Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 22 11 Wer behauptet, Geld sei unwichtig und es komme nur auf innereWerte an, irrt. Geld ist also ein Glücksfaktor imAlter. Gibt es weitere? Es ist eine Tatsache, dass Gesundheit zum wichtigen Aspekt wird. Allerdings kann man mit Gesundheit, beziehungsweise Krankheit, unterschiedlich umgehen. Krankheit macht nicht zwingend unglücklich. Wichtig ist aber, sie nicht zum Zentrum des Lebens zumachen. Natürlich soll das Thema in Gesprächen kein Tabu sein. Doch nach einigen Minuten sollte man sich unbedingt anderem zuwenden. So schaffen wir uns Freiheit im Denken, und dieser positive Blickwinkel trägt zum Glücklichsein bei. Und wie steht es bezüglich sozialer Kontakte?Macht es uns glücklich, wenn wir viele Freunde haben? Viele ältere Menschen pflegen die Kontakte in der Familie. Dabei geht vergessen, dass auch der Austausch mit Freunden und Bekannten ein grosses Glückspotenzial hat. Der Unterschied ist, dass man diese Freundschaften bewusst pflegen muss. Das ist aber gar nicht so schwierig. Warum nicht mal eine Person anrufen und einfach fragen, obman sich auf einenKaffee treffen will? Die Erfahrung zeigt, dass sich die Angerufenen vielfach sehr über diese Kontaktaufnahme freuen. Was unterscheidet das Glück eines 80-Jährigen vomGlück eines 25-Jährigen? 25-Jährige haben es schwerer! In diesem Alter ist man oft noch in der Aus- oder Weiterbildung, das kann sehr hart sein. Dann folgt die Zeit der beruflichen Karriere und Familiengründung, auch das ist anspruchsvoll. Im Gegensatz dazu können 80-Jährige oft auf ein Leben zurückblicken, das sie in vielerlei Hinsicht befriedigt hat. Ist es nicht so, dass jungeMenschen glücklicher sind als alte? Ganz junge Menschen sind glücklich, weil in ihrem Leben noch alle Träume möglich sind. Doch dann kommt die Realität mit Ausbildung, Beruf, Familie, finanziellen Verpflichtungen etc. Ungefähr ab Mitte fünfzig kommt die sogenannte Altersweisheit. Man will keine unmöglichen Ziele mehr erreichen, akzeptiert die eigenen Grenzen. Noch ein paar Jahre später freut man sich über Kleinigkeiten – eine schöne Begegnung beispielsweise oder die Tatsache, dassman noch jedenTag aufstehen kann. Das ist eine ganz andere Einstellung zum Leben und begünstigt das Glücksempfinden. Kannman auch in der letzten Lebensphase in einem Pflegeheimglücklich sein? Das ist vermutlich nicht einfach, wobei auch hier die individuelle Situation entscheidet. Aber ich glaube, dass man selbst im Pflegeheim ein gutes Leben haben kann, wenn man den Fokus auf das Positive und die Vorteile der Situation richtet. Wer das schafft, macht sich auch selbst zufriedener. In einemGastartikel der NZZ haben Sie die Idee aufgebracht, das Stimmrechtsalter 16 einzuführen, die Stimmen der Jugendlichen aber nur halb zu zählen. Sie haben gleichzeitig zur Diskussion gestellt, bei gewissen Abstimmungsfragen dasselbe mit über 80-Jährigen zu tun. Ich glaube nicht, dass Sie ältereMenschen in der Schweiz damit glücklichmachen würden ... Es kommt darauf an, von welchen Abstimmungsvorlagen wir reden. Betreffen die Themen ausschliesslich künftige Generationen, sollten wir den Entscheid den Jüngeren überlassen. Ich denke beispielsweise an Entscheide bezüglich Energieversorgung in 20 oder 30 Jahren. Das werde ich nicht mehr erleben. Würden Sie bei solchen Fragen tatsächlich die Halbierung Ihrer Stimmkraft hinnehmen? Ja, das wäre die logische Konsequenz. Oder sind Ihre Ideen eher provokativ gedacht und sollen uns zumNachdenken anregen? Ungewöhnliche Ideen haben es in allen Ländern schwer, in der Schweiz ganz besonders. Ich habe schon viele Vorschläge gemacht, die auch Widerstand auslösten. Das Problem: Die Etablierten sind stets gegen Änderungen, weil sie etwas verlieren könnten. Und die betroffenen Generationen können sich – unter anderem aufgrund des fehlenden Stimmrechts – nicht darüber äussern. Trotzdem propagiere ich gerne mal ungewöhnliche und auf den ersten Blick erstaunliche Ideen im Wissen darum, dass deren Umsetzung vielleicht noch etwas Zeit braucht. Haben Sie ein persönliches Lebensmotto, das Sie glücklich macht? Nein. Aber ich versuche, mit wachen Augen durchs Leben zu gehen und gegenüber anderen Menschen aufmerksam zu sein. Es gibt so viel Interessantes auf der Welt. Es lohnt sich, aufmerksam zu sein, egal, wie alt man ist. IM ZENIT «Aufmerksam durchs Leben zu gehen, lohnt sich.» *Bruno S. Frey ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und jetzt Ständiger Gastprofessor an der Universität Basel. Er ist Mitbegründer des CREMA – Center for Research in Economics, Management and the Arts in Zürich. Frey war einer der Ersten, der die ökonomische Analyse auf das Phänomen des Glücks anwandte.

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