Zenit Nr. 3, September 2023

Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 23 19 ERGÄNZUNGSLEISTUNGEN gut überlegt sein sagt Anna Meier. Also stellte sie einen EL-Antrag. Schon diesen Schritt empfand sie als unangenehm, weil sie in die Rolle der Bittstellerin gelangte. Noch grösser war das Unbehagen, als das EL-Gesuch abgelehnt wurde. Der Grund: Die grosszügige Schenkung an die Kinder wurde als freiwilliger Vermögensverzicht angerechnet – selbst, wenn sie über zwei Jahrzehnte zurückliegt. Gemäss Berechnung lag das Vermögen nun deutlich über der Schwelle, die zum Bezug von Ergänzungsleistungen berechtigt hätte. Das Ehepaar musste deshalb nebst der Rente auch einen beträchtlichen Teil der 200000 Franken Erspartes für die Bezahlung der Heimrechnungen aufwenden. Geld verschenken ist keineswegs verboten. Jedoch werden verschenkte Beträge bei der Berechnung für Ergänzungsleistungen hinzugerechnet, als wäre das Vermögen noch vorhanden. Für jedes zurückliegende Jahr sinkt der angerechnete Betrag um 10000 Franken. Durch diese Regelung, die seit 1990 in Kraft ist, reduzierte sich die anrechenbare Schenkung von Anna Meiers Eltern in den letzten 25 Jahren kontinuierlich und seit kurzem erhält das Paar nun Ergänzungsleistungen. Für Anna Meier ist das ein schwacher Trost. Sie findet schlicht ungerecht, wie sparsam ihre Eltern heute leben müssen, damit das verbliebene Vermögen nicht zu schnell schmilzt – und dies, obwohl sie ihr Leben lang hart gearbeitet, Steuern bezahlt, als Selbstständigerwerbende nie Kinderzulagen und auch keinen einzigen Franken Arbeitslosentaggeld oder Sozialhilfe bezogen hätten. Andrea Ramseier weist auf die Optik der Gesetzgebung hin. Die Treuhänderin mit eidg. Fachausweis arbeitet als Bereichsleiterin Treuhand+Steuern bei Pro Senectute Kanton Luzern. Ihr Team bietet älteren Menschen unabhängige Beratung und Unterstützung bei finanziellen und administrativen Fragen. Andrea Ramseier stellt klar: «Kindern zu Lebzeiten etwas zu verschenken, ist zwar schön, doch eine Schenkung muss gut überlegt sein.» Sie rät dringend, eine Übersicht über das ganze Vermögen und ein Budget für das Alter zu erstellen und dabei verschiedene Varianten durchzurechnen. Aufgrund der Beratung beim Notar waren Anna Meiers Eltern davon ausgegangen, dass das Geldgeschenk an die Kinder nach einigen Jahren «verjähren» würde. Diese Aussage hört Andrea Ramseier immer wieder. «Sie ist aber falsch. Es gibt Verjährungsfristen im Steuer- und Erbrecht. Doch bei der EL-Berechnung werden Schenkungen immer aufgerechnet.» Die Treuhänderin führt weiter aus: «Hätten ihre Eltern kein Geld verschenkt, wäre ihr Vermögen heute deutlich höher. Dieses müssten sie ebenfalls bis zur Vermögensgrenze von 200000 Franken für Ehepaare beziehungsweise 100000 Franken für Einzelpersonen aufwenden, bis Ergänzungsleistungen beantragt werden können. Aber sie wären finanziell besser abgesichert, um ihren gewohnten Lebensstandard weiterführen zu können.» Anna Meier sagt, ihre Eltern müssten im Altersheim sehr bescheiden leben und würden sogar auf den Besuch im hauseigenen Café verzichten. Grundsätzlich sieht ein EL-Budget monatlich 352 Franken pro Person für persönliche Ausgaben vor. «Ist jemand noch rüstig und geht gerne mal aus dem Haus oder gönnt sich das eine oder andere Plus, wird es knapp», so die Erfahrung der ProSenectute-Sozialberatung. Oftmals genüge dieser Betrag jedoch für persönliche Ausgaben. Simon Gerber, Bereichsleiter Sozialberatung von Pro Senectute Kanton Luzern, rät, ein Budget zu erstellen und dabei auch Fixkosten sorgfältig zu überprüfen und insbesondere zu überdenken, ob allfällige Zusatzversicherungen im Altersheim noch Sinn machen beziehungsweise überhaupt finanziert werden können. Braucht man juristische Beratung? Allen Argumenten zum Trotz ist Anna Meier unzufrieden mit der Situation ihrer Eltern und fühlt sich schlecht beraten. Nicht nur wegen der knappen Finanzen, sondern auch, weil sie stundenlang mit Paragraphen und Formularen kämpfte. «Die Materie ist tatsächlich sehr komplex und bedarf ausführlicher Erklärungen», sagt Simon Gerber. Bei Internet-Recherchen stosse man oft an Grenzen. Er verweist jedoch auf die Informationen der Ausgleichskassen oder die Möglichkeit, mit dem EL-Rechner auf der Website von Pro Senectute einen möglichen Anspruch fiktiv durchzurechnen. Bei knappen Budgets bietet sich auch die Pro-Senectute-Sozialberatung als unabhängige erste Anlaufstelle an. Eine juristische oder treuhänderische Beratung empfehle sich insbesondere bei Schenkungen von Liegenschaften oder Erbverträgen. Beide Experten raten der Tochter des hochbetagten Ehepaars, die positiven Aspekte des Schweizer Sozialsystems nicht zu vergessen: «Dank Ergänzungsleistungen können sich in der Schweiz alle einen Aufenthalt im Alters- und Pflegeheim leisten. Das ist doch grundsätzlich etwas Gutes.» (*Namen der Redaktion bekannt)

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