Zenit Nr. 3, September 2023

Armut, geringe Bildung, tiefer Status und soziale Randständigkeit sind mit einem erheblich erhöhten Risiko eines vorzeitigen Todes verbunden. Eine finanziell prekäre Lage im Alter belastet die psychische Gesundheit und trägt zu einem sozialen Rückzug bei. Arme Rentner und Rentnerinnen haben weniger Optionen, ihre Wohnlage positiv zu verändern, und sie leiden beispielsweise überdurchschnittlich häufig unter Strassenlärm. Alte Menschen, die in einem armen Haushalt leben, erfahren zudem häufiger Altersdiskriminierungen als solche, die in sicheren finanziellen Verhältnissen leben. Der Ausbau der Altersvorsorge nach 1948 ist – neben medizinischen Innovationen – eine wichtige Ursache für den Anstieg der gesunden Lebenserwartung der letzten Jahrzehnte. Die jahrhundertelange Gleichung «alt = arm» gilt seit den 1980er-Jahren als überholt. In den letzten Jahrzehnten haben sich Zahl und Anteil wohlhabender bis reicher älterer Menschen stark erhöht, wodurch die älteren Menschen zu einer wichtigen Nachfragegruppe auf vielen Konsum- und Finanzmärkten, aber auch auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt wurden. Allerdings ist das Rentenalter durch ausgeprägte soziale Ungleichheiten geprägt. Die 20% reichsten alleinstehenden Rentner und Rentnerinnen verfügen über ein vierfach höheres Bruttoeinkommen als die 20% ärmsten Alleinstehenden. Dasselbe Verhältnis von 1 zu 4 zeigt sich auch bei älteren Paaren. Im Gegensatz zu Behauptungen, dass sich die Altersvorsorge der Schweiz – etwa durch den Ausbau der beruflichen Vorsorge (BV) – für alle verbessert hat, zeigen genauere Analysen ein anderes Bild: In den letzten vier Jahrzehnten hat sich die Armutsquote bei Altersrentnern und Altersrentnerinnen nicht verringert. 1982 litten 15% der 65-jährigen und älteren Menschen unter Einkom10 Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 23 mensarmut, 2020/22 waren es um die 16%. Aufgrund tieferer beruflicher Renten leiden im Alter bis heute mehr Frauen als Männer unter Armut (18% bei Frauen, 10% bei Männern). Steigende Lebenshaltungs- und Mietkosten können diese Zahlen aktuell in die Höhe treiben. Bezug von Ergänzungsleistungen Armut im Alter bleibt allerdings oft verdeckt, weil sich ärmere Menschen sozial zurückziehen. Viele einkommensschwache ältere Menschen können den normalen Alltag dank sparsamer Lebensführung lange Zeit bewältigen, bis eine grössere Rechnung (etwa Zahnarztrechnung, höhere Heizkosten usw.) auftritt. Gemäss Erhebung von Pro Senectute konnten sich 2022 gut 14% der Befragten im Pensionsalter eine unvorhergesehene Ausgabe von 2000 Franken nicht leisten. Kleine finanzielle Hilfeleistungen können hier wirksam sein. Längerfristig ist oft der Bezug von Ergänzungsleistungen notwendig. Tatsächlich erhöht sich der Anteil der EL-Bezügerinnen und ELBezüger mit steigendem Alter, auch weil im hohen Lebensalter Ergänzungsleistungen zur AHV zur Finanzierung von Pflegekosten bzw. Pflegeheimaufenthalten notwendig werden. In den letzten vier Jahrzehnten hat sich die Armutsquote bei Rentnern und Rentnerinnen nicht verringert. Soziologe François Höpflinger*erklärt, weshalb das so ist. *François Höpflinger (75) ist emeritierter Titularprofessor für Soziologie an der Universität Zürich. Viele Jahrzehnte lang forschte er zu Alters- und Generationenfragen. Seit 2014 ist er Mitglied der akademischen Leitung des Zentrums für Gerontologie an der Universität Zürich. Foto: Adobe Stock Einkommensarmut im Alter

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