Zenit Nr. 1. März 2024

VON WALTER STEFFEN * In seinem berühmten Buch «Kampf der Kulturen» (erschienen 1992) schreibt der US-Politikwissenschafter Samuel P. Huntington: «Der Westen eroberte die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Werte oder seiner Religion, sondern vielmehr durch seine Überlegenheit bei der Anwendung von organisierter Gewalt. Oftmals vergessen Westler diese Tatsache; Nichtwestler vergessen sie niemals.» Und weiter meint er: «Nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 bestimmen nicht mehr politische Ideologien, sondern Kulturen die Weltordnung: Die neuen Kriege verlaufen entlang der Grenzen von Religionen und Kulturen.» Türken, Libanesen, Kurden, Aramäer, Armenier, Iraker, Jordanier und Palästinenser finden im Vertrag von Lausanne von 1923 denn auch den Ursprung aller heutigen Probleme. Und eine pro-türkische Seite auf Facebook von 2023 stellt den Vertrag von Lausanne wegen des Verlusts der Ägäis infrage. Viele Türken trauern heute noch dem verlorenen Osmanischen Reich nach. 22 Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 24 Wenn der Vertrag von Versailles 1918 für Deutschland ein Desaster war, dann war es derjenige von Lausanne für den Nahen Osten. Er hat die Grenzen des Osmanischen Reiches neu gezogen ohne Rücksicht auf Minderheiten und Religionen und damit viele der heutigen Verwerfungen hervorgerufen. Der Vertrag von Lausanne Der Vertrag von Lausanne wurde am 24. Juli 1923 zwischen der Türkei sowie Grossbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Griechenland, Rumänien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen im Palais de Rumine geschlossen. Er regelte Folgendes: n Die Türkei wurde in ihren heutigen Grenzen anerkannt. Die gleichzeitige «Türkische Revolution» machte sie zu einem Einheitsstaat europäischen Zuschnitts: Sie übernahm das Schweizerische Zivilgesetzbuch und die lateinische Schrift. Verbunden damit war ein radikales Bekenntnis zur türkischen Identität, Kultur, Sprache und Rasse. n England und Frankreich teilten den Nahen Osten unter- einander auf: Frankreich kontrollierte Syrien und den Libanon als «Mandat des Völkerbunds», während Grossbritannien den Irak, Jordanien und Palästina verwaltete. Israel begründet sein Existenzrecht auf die «Balfour-Declaration» vom 2. November 1917. Darin erklärte sich Grossbritannien einverstanden mit dem Ziel des Zionismus, in Palästina eine «nationale Heimstätte» des jüdischen Volkes zu errichten. n Bis vor kurzem galt dieser Vertrag als «die erfolgreichste und dauerhafteste aller Nachkriegsvereinbarungen und die darauf bauende Republik Türkei als die Erfolgsgeschichte des Nahen Ostens». * Dr. phil. Walter Steffen (*1945) unterrichtete Geschichte, Italienisch und Englisch an den Lehrerseminarien Luzern und Hitzkirch und leitet Exkursionen von Pro Senectute Luzern. 24. Juli 1923: Tag der Unter- zeichnung des Vertrags von Lausanne. Quelle: ORF

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