Zenit Nr. 1. März 2024

20 Pro Senectute Kanton Luzern 1 I 24 Rückkehr in die Heimat: Glück und Schmerz zugleich 27 Jahre lang arbeitete Fernando Pereira in der Schweiz – erst als Saisonarbeiter auf einem Bauernhof, danach als Nachtlogistiker beim Transportunternehmen Galliker in Altishofen. 2002 zogen seine Frau Anna Rosa und der damals 14-jährige Sohn Tiago aus Portugal ebenfalls in die Schweiz. Die Fami- lie lebte sich in Büron gut ein, ihre Herzen schlugen jedoch stets auch für ihre Heimatstadt Gondomar, die in einem sanften, fruchtbaren Hügelland im Norden Portugals liegt. Noch nicht bereit fürs Rentnerleben Agil bleiben, sich auf Neues einlassen, etwas wagen: Reto Solèr (68) hat sich beruflich immer wieder herausgefordert. Nach einigen Jahren als Primarlehrer bildete er sich zum Oberstufenlehrer weiter, später folgte ein Spezialisierungsstudium in Theater- pädagogik. Er unterrichtete an verschiedenen Sekundarschulen, machte einen kurzen Abstecher in die Armeeausbildung, kehrte zurück zur Volksschule, arbeitete später auch an einer Sonderschule und führte während der drei letzten Jahre vor seiner Pensionierung im Kanton Zug eine Time-Out-Klasse mit Schülerinnen und Schülern, die in der Regelklasse nicht mehr tragbar waren. Solèrs Schulalltag war heraus- fordernd. Doch berufsmüde war er mit 65 längst nicht. «Ich stehe gern mit jungen Menschen im Austausch. Mich für die Schülerinnen und Schülern einzusetzen – gerade für jene der Time-OutKlasse –, war eine sinnvolle Tätigkeit, die auch mich selbst nährte.» Gerne hätte Reto Solèr nach der offiziellen Pensionierung weitergearbeitet. Doch das war im Kanton Zug nicht möglich. So stand er am 31. Januar 2021 letztmals im Klassenzimmer. Bereit für den Übergang ins Rentnerleben war er damals nicht. «Schon nach kurzem hat sich in mir eine innere Leere breit gemacht, die ich so nicht erwartet hätte.» Weder Familie mit Kindern und Grosskind noch Hund, Haus, Freunde, Nachbarn oder seine vielfältigen Hob- bys vermochten dieses Loch zu füllen. «Ich vermisste die Struktur und die Anregung von aussen.» Seine Frau schlug vor, doch in den Schuldienst zurückzukehren. Tatsächlich suchte die Schule an seinem Wohnort Buchrain gerade eine Stellvertretung. So kehrte der Neurentner für einige Wochen ins Berufs- leben zurück. «Es war, als ob ich von der Kälte draussen an die Wärme kam», beschreibt er seine damalige Gefühlswelt. Auf den ersten Einsatz folgten weitere. Und seit Herbst 2022 unterrichtet er in Kriens als fest angestellter Klassenlehrer eine Sek C. Diese Schülerinnen und Schüler möchte er noch bis zum Schulabschluss begleiten. Dann soll definitiv Schluss sein. Beruhigt sieht Reto Solèr dem definitiven Abschied vom Berufsleben nicht entgegen. Er will sich der neuen Situation jedoch bewusster stellen. «Ich werde versuchen, mir mehr Zeit zu geben, auch mal Leere zuzulassen, damit sich Neues entwickeln kann.» Noch stehen ihm dabei eigene Glaubenssätze im Weg: «Untätigkeit verbinde ich noch immer mit Nutzlosigkeit», sagt der 68-Jährige offen und ehrlich. Dennoch hat sich Reto Solèrs innere Haltung etwas verändert. Er denkt darüber nach, was ihn ähnlich glücklich machen könnte wie das Unterrichten. Ein Einsatz in der Kirche vielleicht? Ein Engagement als Stadtführer? Oder eine andere Tätigkeit, bei welcher er im Austausch mit Menschen steht? All diese Aufgaben scheinen wie gemacht für den kommunikativen Men- schen. Ausserdem möchte Reto Solèr seiner Frau den Wunsch erfüllen, vermehrt zu reisen. Wer weiss, vielleicht gelingt die «zweite Pensionierung» einfacher, als Reto Solèr heute befürchtet. Video-Anruf nach Portugal: Zwischen Sohn und Eltern liegen 1900 Kilometer.

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