Zenit Nr. 1. März 2024

VON ASTRID BOSSERT MEIER Schon vor 30 Jahren, als wir heirateten, war Hans an multipler Sklerose erkrankt. Eigentlich wollte ich nie heiraten, ich war damals schon 50. Doch dann wurde Hans notfallmässig ins Spital eingeliefert und ich erhielt erst ärztliche Auskunft, als seine beiden Töchter aus erster Ehe ihr O. k. gaben. Da ging ich zu ihm und sagte, wenn du hier herauskommst, planen wir unsere Hochzeit. Er sagte, einen Heiratsantrag hätte er sich schon etwas romantischer vor- gestellt, doch nach seinem Spitalaufenthalt heirateten wir tatsächlich. Trotz Krankheit erlebten wir viele schöne gemeinsame Jahre. Wir waren sogar mit dem Rollstuhl in Amerika. Schwer wurde es in den letzten zweieinhalb Jahren. Diese Zeit würde ich als Übergang vom Leben in den Tod bezeichnen. Es war ein fliessender Prozess. Hans konnte seine ganze rechte Seite nicht mehr bewegen und hatte auch keine Kraft mehr in den Beinen. Obwohl ich ihn nachts mehrmals umlagerte – ich schlief nur noch im Stundenrhythmus – und trotz Unterstützung von Spitex und Spezialärzten kam es zu einem Dekubitus. Vier Mal wurde Hans wegen sehr schmerzhafter Wunden im Spital behandelt. Dann konnte und wollte er nicht mehr. Hans war ein kräftiger, stattlicher Mann. Aber manchmal liefen ihm vor Schmerzen Tränen über die Wangen. Mit 81 darf man gehen, das waren seine Worte. Wir waren beide traurig, dass unser gemeinsamer Weg enden wird. Selbstbestimmt aus dem Leben scheiden Schon fünf Jahre zuvor waren wir EXIT beigetreten. Hans sprach mit seinem Hausarzt. Dieser unterstützte EXIT nicht, respektierte aber den Entscheid seines Patienten. So rief mein Mann bei der Organisation an und sagte, er möchte nun sterben. Es folgte eine mehrwöchige Ab- klärungszeit. Das hätte ich nicht so intensiv erwartet. Ein EXIT-Konziliararzt kam ins Haus und prüfte, ob der Ent16 Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 24 Nach jahrzehntelanger, schwerer Krankheit entschied sich Hans Banholzer letzten Herbst für den Freitod mit Unterstützung von EXIT. Mit grosser Offenheit erzählt seine Frau Hanny Amstad Banholzer (80), wie sie den Übergang ihres Mannes vom Leben in den Tod und ihren eigenen Weg zurück ins Leben erfahren hat. «Der Übergang in den Tod war fliessend» scheid gut überlegt und gerechtfertigt sei. Der Arzt erhielt vollen Einblick in die Krankenakte und sprach mit dem Hausarzt. Als die Abklärung vorüber war, stellte der Konziliararzt das Rezept für das Sterbemedikament aus. Hans bestimmte den 23. Oktober 2023 als den Tag, an dem er zu Hause sterben wollte. Ein Datum ohne besondere Bedeutung. Für eine Tochter war die Ankündigung besonders schwer. Sie flehte mich an, dafür zu sorgen, dass er es nicht tut. Ich versuchte zu erklären, dass nur Hans über diese Frage bestimmen darf. In den folgenden Wochen machte sie einen enormen Prozess durch und akzeptierte schliesslich seinen Entscheid. Das Verhältnis zur zweiten Tochter war durch die Scheidung etwas schwieriger. Ein langes Gespräch zwischen Vater und Tochter brachte viel Klärung. Sie verstand, dass ihr Vater so nicht weiterleben wollte. Intensive Abschiedsabende Für Hans war zentral, seinen Entscheid offen zu kommunizieren. Er laufe nicht einfach aus dem Leben davon, sondern wolle sich von den Menschen verabschieden, die ihm wichtig waren, erklärte er. Es war sein Wunsch, in den letzten zwei Wochen vor seinem Tod jeden Abend Gäste einzuladen. Ich sagte, das ist gut und recht, aber ich schaffe es nicht, auch noch für Gäste zu kochen. So entschieden wir, allen Gschwellti mit Käse anzubieten. Diese Abschiedsabende waren enorm intensiv und wir führten viele gute Gespräche. Am Vorabend seines Todes wollte Hans seine beiden Töchter und den Schwiegersohn bei sich haben, und er wünschte sich Jakobsmuscheln an Weissweinsauce. Das war nicht einfach, diese Köstlichkeiten einzukaufen und zu kochen. Und als wir nebeneinander im Bett lagen, wusste ich, das ist die letzte gemeinsame Nacht. Als die Kinder am Mittag des 23. Oktobers kamen, hat Hans uns alle nochmals intensiv angeschaut. Zu sagen gab

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