Zenit Nr. 1, März 2022

28 Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 22 Das sinnliche Musiktheater «Chuenägele» möchte zu einer interkulturellen Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen anregen: Nach anfänglicher Ablehnung findet die alte Frau Schneebeli über die Musik eine gemeinsame menschliche Ebene mit einem Spitex-Mitarbeiter dunkler Hautfarbe. VON MONIKA FISCHER Einblick in eine Probe auf der Bühne des alten Theatersaals im Rathaus Willisau: Die alte Frau Schneebeli zupft Federn aus ihrem Kissen und bläst sie in die Luft. Sie möchte eine Decke über die Blumen schneien lassen. Es ist das, was ihrem einsamen Leben noch Sinn gibt. Deshalb wird sie Schneeflocke genannt. Sie betrachtet sich im Spiegel, herausgezogen aus dem hohen Erinnerungsturm. «Alte Schachtel», murmelt sie und fängt an zu träumen. Sie denkt an ihren ehemaligen Schulkollegen Pater Schosef, der als Weisser Vater in einem afrikanischen Land wirkte, und fragt: «Kommt heute eigentlich niemand?» Ungeduldig wartet sie auf die Mitarbeiterin der Spitex. Sadio Cissokho legt nach dem leisen Spiel neben der Bühne seine Kora beiseite, schlingt die Gebetsschnur um die Hand, zieht die Spitex-Schürze über, benutzt den Laptop und meldet sich bei Frau Schneebeli. Diese erschrickt, als anstelle von Frau Fröhlich ein fremd aussehender Mann vor der Tür steht. Sie will wissen, woher er ursprünglich kommt, und hat Angst, er sei vielleicht ein Terrorist. Der junge Mann erklärt, dass auch er zu Gott betet. Die alte Frau erzählt ihm von Pater Schosef, der in afrikanischen Ländern als Missionar für die armen Negerlein gearbeitet Ein Zeichen gegen Rass Foto: zVg hat, was ihn empört. «Wir sind keine armen Negerlein. Wir sind reich, wir besitzen die Weisheit alter Menschen.» Widerwillig lässt sich die alte Frau die Stützstrümpfe an- ziehen, den Blutdruck messen und die Medikamente verabreichen. Nach seinem Weggang holt sie den Rosenkranz hervor, schwelgt in Erinnerungen an ihre Treffen mit dem Pater und lebt dabei sichtlich auf. Musik als verbindende Brücke ImVerlauf des Stücks findet der Pflegefachmann über seine Musik einen Draht zur alten Frau. Sein Gesang und das Spiel auf der Kora beruhigen sie. Sie nennt ihn Schwarz- locke, taut mehr und mehr auf und wünscht sich Musik anstelle von Tabletten. Er notiert mit gutem Gewissen «13 Minuten Musik für Frau Schneebeli» in seinen Rapport mit demHinweis, Musik sei schliesslichMedizin. Dies zieht allerdings einen Verweis seiner Chefin nach sich. Es sei ein Verstoss gegen die Regeln, während der Arbeit zu singen. «Wir haben nicht so viel Zeit. Das Pflegepersonal muss eine professionelle Haltung zeigen.» Er erzählt der alten Frau von dem Verweis und macht einen Vorschlag. Da er den Job nicht verlieren möchte, will er für sie in der Freizeit Musik machen. Aus ihrer Einsamkeit erwacht, hat sie eine Idee. Sie möchte ein Privatkonzert in der Kirche für Christen und Muslime, für Alt und Jung, Gläubige und Ungläubige organisieren. Diese Utopie wird im Stück als Traumsequenz eingebaut. Schwarzlocke spielt und tanzt, verwandelt sich in einen Feuervogel. Auch Schneeflocke beginnt zu tanzen und verwandelt sich in eine Eisbärin. Es ist ein Befreiungstanz. Das Ergebnis einer gemeinsamen Reise «Chuenägele» ist das neuste Stück einer Reihe von Produktionen von «visch&fogel» der Theaterautorin und Schauspielerin Vreni Achermann und dem Produktionsleiter Hans Troxler. Während der Pandemie setzte sich das Ehepaar vertieft mit unserem Gesellschaftssystem auseinander. Im Zentrum standen zwei unterschiedliche Gruppen, die aufeinander angewiesen sind: Zum einen die ältere Genera- «CHUENÄGELE» ALS TOURNEETHEATER Die Aufführungen von «Chuenägele» werden von ver- schiedenen Stiftungen unterstützt und stehen unter der Patenschaft von Pro Senectute Kanton Luzern und vom Spitexverband Luzern. Das Theater kann für Vorstellungen gebucht werden. Die ersten Aufführungen: n 27. März 2022, 17 Uhr, Rathaus Willisau n 22. April, 20 Uhr, Theater Pavillon Luzern n 23. April, 17 Uhr, Theater Pavillon Luzern n 30. April, 15 Uhr, Riggisberg, Schlossgarten Kontakt: Hans Troxler, Kreuzstrasse 5a, Willisau, Telefon 041 970 33 70 E-mail: hans_troxler@bluewin.ch, www.visch-und-fogel.ch

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