Zenit Nr. 1, März 2022

Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 22 29 THEATER ismus und Vorurteile «Die Begegnung mit dem Fremden schärft den Blick auf den eigenen kulturell bedingten Umgang mit den älteren Menschen. Gleichzeitig wollten wir People of Color eine Möglichkeit zur Identifikation bieten und Vorurteile korrigieren.» Im Prozess entwickelt Das Theaterstück wurde in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Ueli Blum und dem Musiker und Schauspieler Sadio Cissokho prozesshaft entwickelt. Dieser wurde früh einbezogen, indem er von der Lebensweise in seiner Heimat Senegal erzählte. Lachend beschreibt er das Leben in der 22-köpfigen Grossfamilie mit Menschen verschiedener Altersstufen: «Wir haben einen offenen und guten Kontakt untereinander und helfen uns gegenseitig. Es ist für mich unvorstellbar, dass meine alte Grossmutter allein leben müsste.» Vreni Achermann baute seine Geschichten teilweise in dessen Muttersprache Wolof ins Stück ein. «Es wirkt lebendiger und tönt wie Musik, auch wenn man es nicht konkret versteht.» Neben weiteren Fachpersonen wurde auch eine Leiterin der Spitex einbezogen. Diese zeigte z. B. bei den Proben, wie Stützstrümpfe mit Hilfe von Putzhandschuhen korrekt angezogen werden. Das Zusammentreffen der zwei unterschiedlichen Lebenswelten gab im Laufe des Prozesses dem Theater den Namen «Chuenägele»: Es ist das Kribbeln, das entsteht, wenn Heiss und Kalt aufeinandertreffen. Die Utopie als Traumsequenz «Chuenägele» regt eine interkulturelle Auseinander- setzung auf verschiedenen Ebenen an, den Dialog zwischen Alt und Jung, Weiss und Schwarz, Christen und Muslimen, und soll damit zu einem Gegenentwurf unserer Gesellschaft als Antrieb sozialer Erfindungen werden. Gemäss Regisseur Ueli Blum ergeben sich dazu im Theater viele Möglichkeiten. Das Gleichgewicht z. B. wird hergestellt durch die fremde Musik mit ihren eigenen Melodien und Rhythmen und die leichten Federchen als Gegensatz zur festen Ordnung des Spitex-Betriebes. Oder durch die Darstellung einer Utopie, die als eine Traum- sequenz eingebaut wurde. «Die Utopie ist Denken nach vorne als Kritik dessen, was ist, und die Darstellung von dem, was sein könnte. Damit verweist sie auf Alternativen zum Bestehenden. In diesem Sinn kann das Theater eine Gegenwelt kreieren und aufzeigen: Es ist eine Chance für die Gesellschaft, wenn unterschiedliche Kulturen sich begegnen. Das weckt Hoffnung.» tion, die den Lebensabend oft einsam und isoliert verbringt. Zum andern das Pflegepersonal mit einem grossen Anteil von Menschen aus anderen Kulturen, ohne die das Gesundheitssystem zusammenbrechen würde. «Chuenägele» macht den kulturellen Hintergrund und die Lebenssituation dieser beiden unterschiedlichen Gruppen sichtbar und zeigt: Es reicht nicht, den Patien- tinnen und Patienten die Medikamente zu verabreichen. Wesentlich ist, mit ihnen in Beziehung zu treten. Dafür braucht es Zeit, die oft fehlt. Vreni Achermann erklärt: Frau Schneebeli (Vreni Achermann) und der Spitex-Mitarbeiter (Sadio Cissokho) träumen in «Chuenägele» gemeinsam von einer Welt ohne Vorurteile.

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