Zenit Nr. 1, März 2022

22 Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 22 VON WALTER STEFFEN* Denn die Studentinnen und Studenten leiden gegenwär- tig oft unter dem strengen «Bologna-System» und dessen umstrittenen «Kreditpunkte-Auflagen». Diese «Bologna- Reform» zur Vereinheitlichung der universitären Studiengänge und Studienabschlüsse wurde 1999 von 29 europäischen Staaten in Bologna unterzeichnet. Eingeführt wurden damals auch neue Bezeichnungen für akademische Grade: Bachelor, Master, PhD (Doktorat). Das in diesem Zusammenhang geschaffene Kreditpunkte-System ECTS (European Credit Transfer System) ermöglicht die Anrechnung vergleichbarer Studienleistungen. Damit wird die Mobilität gefördert. So sind zum Beispiel 180 Kreditpunkte für den Erwerb des Bachelor- Diploms nötig. Das ECTS und das Erasmus-Projekt erleichtern den Austausch von Studierenden in ganz Europa. Die Studierenden werden dadurch von ihren Professoren aber auch minutiös kontrolliert. Im Mittelalter war es gerade umgekehrt: Die Studenten kontrollierten die Professoren – nicht mit einem Kreditsystem, sondern mit einem rigiden Bussenkatalog. Die Bologneser Schule des römischen Rechts geht auf den berühmten Gelehrten Irnerius (1050–1130) zurück. Er erklärte den damals wiederentdeckten «corpus iuris civilis» und ergänzte ihn mit Randbemerkungen, sogenannten Glossen. Er ist der unbestrittene Gründer der Bologneser Juristenschule. Umstritten ist dagegen, was eine euphorisch-nationalistische Historikerkommission 1888 bestimmte: Sie erklärte das Jahr 1088 willkürlich zum Gründungsjahr der Universität Bologna. Italien kam dadurch zur ältesten Hochschule Europas – älter als jene von Paris. Der Streit drehte sich um den Begriff der «universitas»: Ursprünglich ging es um die «universitas magistrorum et scholarium», die Gemeinschaft der Lehrer und Schüler. Erst in der Neuzeit erfasste der Begriff im Sinne Humboldts die universitas litterarum, also die Gesamtheit der Wissenschaften, sodass heute nur jene Hochschule eine Universität bildet, welche das breite Spektrum der Wissenschaften umfasst. Die erste Form der «universitas scholarium» entstand im 12. Jahrhundert, als sich wohlhabende Studenten aus ganz Europa in Bologna eigene Statuten (eine Verfassung) gaben, um den Lehrbetrieb zu organisieren und zu kontrollieren. Kaiser Friedrich Barbarossa förderte das Studium des römischen Rechts und stellte es klar über das kanonische, das Kirchenrecht. Bologneser Professoren waren seine Berater, und für die Studierenden erliess er 1155 die «Authentica Habita» – einen Schutzbrief für alle reisenden Studenten. Den in Bologna Studierenden gewährte er eine eigene Gerichtsbarkeit und Autonomie gegenüber der Stadtregierung. Um diese Zeit müssen bereits zwei Studentenuniversitäten mit je einem selbst gewählten Rektor existiert haben: Die «universitas citramontanorum» mit drei Nationen (Römer, Toskaner, Lombarden) und die «universitas ultramontanorum» mit 13 Nationen (Deutsche, Franzosen, Provenzalen, Engländer, Spanier, Ungarn, Polen, Böhmen, Burgunder, Pikarden (Picardie), Portugiesen und den Studenten aus Poitou). Gerichtsbarkeit über alle Studierenden Laut Statuten der Juristenuniversität von 1317–47 wurde der Rektor jährlich aus der Studentenschaft durch 38 Elektoren gewählt. Jedes sechste Jahr musste es ein Deutscher sein, jedes 25. ein Böhme. Der Rektor hatte das dritthöchste Studenten wählten im Mittelalter ihren Rektor aus ihren eigenen Reihen und kontrollierten den Lehr- betrieb mit rigiden Statuten. Sie beriefen Professoren an ihre «universitas» und setzten deren Saläre fest. Das waren Zustände, von denen heutige Studierende nur träumen können. BUSSENKATALOG Die Bussen sind auf den heutigen Geldwert übertragen Einmalige Verspätung des Unterrichtsbeginns 450.– Übermarchung der Stunde 450.– Aufschieben schwieriger Passagen auf das Unterrichtsende Verweis Nichterfüllen des Unterrichtsprogramms um einen Tag 3000.– Nichterfüllen des Unterrichtsprogramms um zwei Tage 5000.– Nichterfüllen des Unterrichtsprogramms um drei Tage 10000.– Jährlicher Bussefonds (zu hinterlegen beim Rektor) 25000.– Sicherheitsdepot bei Urlaub 100000.– Quelle: Die Statuten der Universitas scholarium iuristarum von 1317–1347, hrsg. von H. Denifle, Berlin 1887. Die Bologneser «universitas

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