KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2023

JAHRESTAGUNG 04 / 2023 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 20 Heidi Simoni brachte es auf den Punkt: Wenn wir Jugendlichen wirklich helfen wollen, dann müssen wir den Familien helfen – und zwar schon den jungen Familien. Im Hauptvortrag zum Tagungsthema, welches uns PädiaterInnen in den letzten Jahren immer mehr beschäftigt, zeigte die Rednerin auf, dass das interdisziplinäre Netz nicht erst für Jugendliche aufgebaut werden kann, sondern dass das Ganze früh beginnt, sehr früh sogar: in der frühkindlichen Entwicklung und Begleitung der Eltern auf diesem Weg. Die Rednerin, welche über viele Jahre das renommierte Marie Meierhofer Institut für das Kind geleitet hat, weiss, worüber sie redet. Die Verunsicherung der Jugend hat die Wurzeln in der Kindheit und es kann nicht genügend betont werden, dass belastende Kindheitserfahrungen die bedeutsamste Ursache für Verunsicherung von Jugendlichen ist. Die dabei präsentierte Pyramide von Huebner et al. über ACE (adverse childhood experiences) illustrierte dieses gerade für uns Kinderärzte so wichtige Erkenntnis. Wie geht es eigentlich unseren Jugendlichen heute? Heidi Simoni präsentierte die Zahlen, die wir als solche in unserer Sprechstunde erleben: Jugendliche mit Suizidgedanken +11% , Jugendliche mit Angststörungen +30%, täglich 8 Anrufe nur bei Pro Juventute von verzweifelten Jugendlichen mit Suizidgedanken. Und das nur in einem Jahr! Corona hat die Situation natürlich nicht gebessert, wenn auch die coronabedingten Lebensveränderungen für viele Jugendliche nicht nur belastend waren. Vielmehr ist es der Begriff «Multikrise» – dieses ständige Leben in einer (Des-)Informationsgesellschaft REFERENTIN: DR. PHIL. HEIDI SIMONI Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, eidg. anerkannt, Leiterin Marie Meierhofer Institut für das Kind (bis Juni 2023), Zürich EINFÜHRUNG: DR. MED. MORENO MALOSTI Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin FMH, Vizeleiter Arbeitsgruppe Jahrestagung, Kinderarztpraxis Regenbogen, RapperswilJona ZUSAMMENGEFASST VON: DR. MED. RAFFAEL GUGGENHEIM Mitglied Redaktionskommission, Zürich Korrespondenzadresse: dokter@bluewin.ch Hauptreferat Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen: Hält das interdisziplinäre Netz? mit grundlegenden Verunsicherungen, welches die in mit ihrer eigenen Adoleszenz beschäftigten Jugendlichen zermürbt. Und wir Erwachsenen machen es ihnen nicht leichter. So meinte Simoni zum Thema «Zugang von Jugendlichen zu gewaltbezogenen Medieninhalten >18 Jahre» mit einer Selbstdeklaration von über 50% von 13-Jährigen, diese zu benutzen: «Ich finde es bedenklich, dass wir überhaupt Inhalte produzieren, die wir für Kinder und Jugendliche als toxisch befinden!» Aber auch in Bezug auf die auch in der Schweiz bestehende Armut und die Gefahr vor sozialem Abstieg in mittelständischen Familien braucht die Rednerin klare Worte: «Ich finde es beschämend, dass wir in der Schweiz viele Familien haben, die ab dem 25. überlegen müssen, was zum Essen auf den Tisch kommt!» In der Schweiz, gemäss Caritas-Bericht, ist jedes 12. Kind von Armut betroffen und viele weitere leben in prekärem rechtlichem und sozialem Status. Dazu kommt der grosse materielle und ideelle Druck, welcher bei Eltern dazu führt, ihre Kinder mit Lernmassnahmen zu überfordern. All das führt unweigerlich zu Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung nicht nur in «randständigen» Familien. Nicht wenige Eltern bestrafen ihre Kinder immer noch, «um sich abzureagieren»! Die psychische Gesundheit der Jugendlichen ist also tatsächlich auf dem Prüfstand und leider zeigen sich viele ungünstige Tendenzen. Die Verunsicherung durch existenzielle Ängste, die zunehmende Überforderung durch mediale Inhalte und die soziale Situation macht das Ganze noch viel schwieriger. Wie sollen wir nun damit umgehen, um die Situation zu entschärfen und insbesondere den belasteten Jugendlichen zu helfen? Heidi Simoni sprach mir als entwicklungspädiatrisch orientiertem Kinderarzt aus dem Herzen. Sie fokussierte auf die Entwicklung der Kinder bereits in der

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