KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2023

03 / 2023 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 27 Müssen wir bei Babys mit isolierten Schlaf- und Regulationsstörungen auch schon an Autismus denken? Nein, auch wenn retrospektiv viele Eltern von Kindern mit Autismus im Säuglingsalter auch über eine solche Schlaf-/Regulationsstörung berichten. Die Hauptsymptome der Autismus-Spektrum-Störung sind in einer auffälligen Interaktion verankert: fehlendes Lachen, keine «schwingende» Kommunikation, oder kein «turn- taking» im Spiel und das Gefühl, das Kind wenig zu spüren. Kinder mit ASS ohne relevante Entwicklungsverzögerung fallen den Eltern meist erst durch die fehlende Sprachentwicklung auf. Ich habe mir angewöhnt, in der 6-, 9- und 12-Monatskontrolle ganz bewusst auf die Interaktion (Blickverhalten; Lächeln; Plaudern; referentieller Blick; Teilen der Freude, auf sich oder etwas aufmerksam machen – auch «Triangulation» genannt) zu konzentrieren. Oft wird die Verdachtsdiagnose ASS von Lehrern gestellt. Gibt es klare Kriterien, anhand welcher wir bei einem 11-jährigen Kind die Verdachtsdiagnose erhärten oder eben entschärfen können, um nicht alle weiterschicken zu müssen? Das ist eine sehr schwierige Frage. Tatsächlich zeigen sich in diesem Alter vermehrt soziale Probleme bei Kindern mit ASS, da die Bedeutung der Peers und gleichzeitig die Komplexität der für sie schwierig zu dekodierenden nonverbalen Signale, Verhaltenscodes und die Jugendsprache etc. zunimmt. Ich denke, Jugendliche, welche in ihrem psychischen Wohlbefinden auffallen, sollten unbedingt von einer Fachperson gesehen werden. Konkret frage ich bei der 10–11 Jahre Vorsorge immer nach Freunden, sozialen Aktivitäten (Schulpause und Freizeit), Hobbys und emotionalem Wohlbefinden. Entscheidend ist für mich, was und vor allem wie das Kind antwortet und ob ich das Gefühl habe, dem Kind geht es gut oder ob ein Leidensdruck (beginnende Depression, Mobbing, eventuell ASS) vorhanden ist. Ist eine Verdachtsdiagnose gestellt, sollte primär versucht werden, rasch eine Psychotherapie in die Wege zu leiten; auch sollte gleichzeitig eine weiterführende Abklärung angemeldet werden, um die damit einhergehende Unsicherheit aus der Welt zu räumen. Zuletzt noch: gibt es ein spannendes Fachbuch, dass Du uns empfiehlst? Neben den Klassikern fand ich das Buch von Peter Vermeulen «Autismus als Kontextblindheit» sehr eindrücklich und lesenswert. Besten Dank für das Interview. ■ Quelle: Flex Fernschule, D-Breisach, www.flex-fernschule.de, mit freundlicher Genehmigung.

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