KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2023

02 / 2023 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 27 Tageslichtexposition zurückzuführen ist2,3,4. Kinder, die sich fast ausnahmslos in geschlossenen Räumen aufhalten, haben eine extrem hohe Myopie-Prävalenz. Im Fernen Osten haben die rasante ökonomische Entwicklung und die damit verbundene gesteigerte Schulung von Kindern zu einem regelrechten «Myopie-Boom» geführt. Dies war auch der Titel eines einflussreichen Nature Artikels im Jahre 20155. Es gibt Regionen der Welt mit einer Prävalenzrate von mehr als 95%. Die chinesische Regierung unterstützt heute Forschungsprogramme im Bereich Myopie, sodass viele Daten und Erkenntnisse aus China und angrenzenden Regionen stammen. Man geht davon aus, dass die in Fernost gut dokumentierte Zunahme der Myopieprävalenz auch in Europa stattfindet. Da aber Verhaltensweisen wie Schulbesuch und Tageslichtexposition eine kritische Rolle spielen, ist es nicht legitim, die Prävalenzzahlen aus dem Ausland unkorrigiert auf Schweizer Verhältnisse anzuwenden, auch wenn der genetische Hintergrund ähnlich ist. Ein kritischer Blick in die spärlich vorhandenen Daten in der Schweiz lässt erahnen, dass sich die Myopieprävalenz in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verändert hat. Weder der Jugendgesundheit-Bericht des Kantons Berns noch erste Analysen von Prävalenzdaten aus Armee-Rekrutierungszentren (persönliche Kommunikation Prof. V. Sturm, Universität Zürich, noch unveröffentlicht) zeigen eine signifikante Veränderung der Häufigkeit von Myopie in den letzten 20 Jahren. Ebenso wenig gibt es belastbare Hinweise darauf, dass der Smartphone-Konsum einen wesentlichen Einfluss auf die Myopieentstehung gehabt hätte. Interessanterweise ist in Fernost der grösste Sprung der Myopieprävalenz von einer Inzidenz von ca. 30% auf fast 90% in den Jahren VOR dem Markteintritt der ersten Smartphones passiert. Neben der mangelnden Tageslichtexposition als wichtigstem Risikofaktor für die Entstehung einer Myopie geht man davon aus, dass auch andere Faktoren wie kontinuierliche Naharbeit in kurzem Abstand sowie genetische Faktoren eine Rolle spielen. Kinder von myopen Eltern haben ein höheres Risiko, selbst kurzsichtig zu werden. Der genetische Anteil der Myopieentwicklung insgesamt betrachtet spielt jedoch eine untergeordnete Rolle. Es konnten zwar 161 Gene zur Myopieentwicklung identifiziert werden, jedoch machen diese nur einen Anteil von 9–10% der Myopieentwicklung aus, sodass die allgemeine Lehrmeinung der 60er-Jahre, die Genetik sei der Hauptgrund der Myopieentwicklung, widerlegt wurde6. Risikofaktor Myopie Was Rauchen und Übergewicht für Internisten und Hausärzte ist, ist die Myopie für die Ophthalmologen. Myopie zusammen mit Alter ist der wohl wichtigste Risikofaktor für Augenerkrankungen aus allen Segmenten. Speziell häufig sind Netzhauterkrankungen, insbesondere Netzhautablösungen und myope Makula- oder Retinopathie. Daneben ist Myopie ein Risikofaktor für die Glaukomerkrankung, für Schielen, Kataraktentwicklung und anderes. Es gibt heute keine absoluten Zahlen zum Komplikationsrisiko, wir wissen aber, dass das myopiebedingte Komplikationsrisiko mit zunehmender Kurzsichtigkeit zunimmt. Trotz der offensichtlichen und für Kliniker spürbaren Risiken hat bis heute Myopieprävention in den augenärztlichen Konsultationen nur wenig oder gar keinen Eingang gefunden. Dies liegt daran, dass bis vor wenigen Jahren keine gute Evidenz für den präventiven Charakter von Verhaltensmassnahmen und/oder einer Myopieprogressionstherapie vorlag. Erst mit dem Aufkommen von medizinischer Evidenz für den Nutzen von Atropin hat auch die Prävention Einzug gehalten. Prävention Regelmässiger Aufenthalt im Freien, ein Leseabstand von ca. einer Armlänge und regelmässige Pausen bei kontinuierlicher Naharbeit sind die drei Säulen der Myopieprävention. Die schweizerische ophthalmologische Gesellschaft empfiehlt, alle 30 Minuten, die amerikanische alle 20 Minuten, eine kurze Pause einzulegen. Diese kann beispielsweise darin bestehen, einen langen Blick aus dem Fenster zu werfen (Tabelle 1 und 2). Darüber hinaus sind keine präventiven Massnahmen bekannt. Tabelle 1 Tabelle 2 Therapie Kommt es trotz Prävention zu einer Myopie und besteht der Verdacht, dass diese zunimmt, stellt sich die Frage nach therapeutischen Massnahmen. Es sind viele unterschiedliche Produkte auf dem Markt; nachfolgend nehmen wir eine kleine Risiko-Nutzen-Analyse vor. Direkte Vergleiche der unterschiedlichen Optionen sind jedoch aufgrund unterschiedlicher Endpunkte (Messmethoden für den Therapieerfolg), unterschiedlicher Auswahl von Patienten, variabler Therapiedauer und vielfachem Fehlen von Beobachtungen, welche über die eigentliche Therapiedauer hinausgehen, stark erschwert. 2006 wurde in einer grossen und randomisierten Studie eine Sich täglich 2 Stunden draussen aufhalten Nach 20 Minuten Naharbeit eine 20-sekündige Pause einlegen und den Fokus in die Ferne legen. 6m Alexiane, 7 Jahre

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