KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2023

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 01 / 2023 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 32 PROF. EM. DR. ETTA WILKEN EMERITIERTE PROFESSORIN FÜR ALLGEMEINE UND INTEGRATIVE BEHINDERTENPÄDAGOGIK, INSTITUT FÜR SONDERPÄDAGOGIK, LEIBNIZ-UNIVERSITÄT, D-HANNOVER Korrespondenzadresse: etta.wilken@web.de Die Sprachentwicklung ist bei allen Kindern mit Down-Syndrom erheblich verlangsamt, und besonders der Beginn des Sprechens ist stark verzögert. Die Stärken liegen in der sozialen Kommunikation und Pragmatik, die Schwächen beziehen sich auf Artikulation, Syntax und Grammatik. Verschiedene orofaziale Probleme sind oftmals deutlich ausgeprägt. Deshalb ist unter Berücksichtigung dieser syndromspezifischen Beeinträchtigungen entwicklungsbegleitend ein Angebot spezieller therapeutischer und sprachfördernder Massnahmen in Kooperation mit den Eltern sinnvoll. Entwicklungsbegleitende logopädische und sprachliche Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom Logopädie und Sprachförderung Bei Kindern mit Down-Syndrom sind die spezifischen Auswirkungen der individuell vorliegenden Beeinträchtigungen auf die Entwicklung sprachrelevanter Fähigkeiten zu erfassen. Das erfolgt in der Regel im Rahmen der ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen und sollte dann zur Verordnung entsprechender logopädischer Massnahmen führen. Bei der Sprachförderung gilt es zu beachten, dass die speziellen Probleme der Kinder nicht primär mit ihrer kognitiven Beeinträchtigung erklärt werden können. So ergab ein Vergleich mit Kindern, die eine gleich ausgeprägte kognitive Beeinträchtigung hatten, bei denen aber andere Ursachen zur Behinderung führten, dass die besonderen Schwierigkeiten der Kinder mit DownSyndrom beim Spracherwerb und beim Sprechen syndromspezifisch sind und ein entsprechend typisches Sprachprofil bedingen (Miller 1999). Nur bei ca. 10 % der Kinder und Jugendlichen liegen Sprache und Kognition auf etwa gleichem Niveau. Oft führt diese Diskrepanz zu frustrierenden Kommunikationssituationen (Buckley & Sacks 1987; Chapman 1999; Miller et al. 1999; Wilken 2022a). Mit zunehmendem Alter haben die Beeinträchtigungen in der Kommunikation gravierende Auswirkungen auf die Teilhabe in der Familie und vor allem im sozialen Umfeld (Buckley, Sacks 1987). Zudem können Schwierigkeiten in der Kommunikation zu verschiedenen Verhaltensproblemen wie Verweigerung, Trotz und Aggression führen. Zu reflektieren ist für die Teilhabe in Familie und sozialem Umfeld auch, welche Bedeutung Zwei- und Mehrsprachigkeit für zunehmend mehr Kinder mit DownSyndrom hat (Wilken 2022b). Heterogenität und Asynchronie der Entwicklung Bei Kindern mit Down-Syndrom gibt es eine grosse Heterogenität in der Ausprägung der verschiedenen syndromspezifischen Probleme. Trotz einzelner abweichender Befunde ist davon auszugehen, dass bei den meisten Kindern und Jugendlichen eine milde bis mässige kognitive Beeinträchtigung vorliegt (Morss 1983, Pueschel 2001, Ratz 2013, Wilken 2022a). Auch zeigen Kinder mit Down-Syndrom mehr oder weniger deutliche Verzögerungen in allen Entwicklungsbereichen. Relevant sind jedoch nicht nur diese Verzögerungen, sondern vor allem ist die damit verbundene typische intraindividuelle Asynchronie in der Entwicklung der Fähigkeiten zu beachten. Dadurch kann die normale Interdependenz dieser Bereiche, wie sie in der Regelentwicklung gegeben ist, erheblich gestört werden und eine ungenügende wechselseitige Verstärkung und Passung dieser aufeinander bezogenen Entwicklungen von Motorik, Sprache und Kognition ist die Folge (Rau et al. 1996, Grimm 2012). Hinzu kommt, dass die dem Spracherwerb zugrunde liegenden Reifungsprozesse, im Gegensatz zu den Lernprozessen, auch beim DownSyndrom nicht verzögert verlaufen. Deshalb benötigt ein 8-jähriges Kind mit Down-Syndrom, mit einem Entwicklungsalter von 5 Jahren und mit sprachlichen Fähigkeiten, die vergleichbar sind mit etwa 3-jährigen Kindern mit regelhafter Entwicklung, eine Sprachtherapie, die unter Beachtung kritischer «bio-linguistischer Zeitfenster» (Locke 1993, Grimm 2012) methodisch sowohl das Lebensalter als auch das Entwicklungsalter berücksichtigt (Leddy 1999; Wilken 2022a).

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