KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2023

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 01 / 2023 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 30 In diesem zweiten Fall wurde ich von der Familie kontaktiert, nachdem die bisher zuständigen Ärzte die Ausstellung eines Attests zur Bestätigung der Sportfähigkeit trotz Durchführung von radiologischen Abklärungen inklusive Funktionsaufnahmen verweigert hatten, obwohl keine Anzeichen für eine Instabilität im Bereich der oberen HWS objektivierbar waren. Die damals 12-jährige Patientin war seit ihrem 3. Lebensjahr sportlich sehr aktiv und wollte sich aufgrund ihrer hervorragenden sportlichen Leistungen für die spätere Teilnahme an den Special Olympics vorbereiten. Basierend auf den klinischen und radiologischen Befunden mit fehlendem Nachweis einer relevanten atlanto-axialen Instabilität habe ich damals die Sporteignungserklärung ausgestellt. Zwischenzeitlich ist die Patientin aktuelle Weltrekordhalterin im Sprint über 100 m und 200 m sowie im Weitsprung und hat unzählige Podestplätze an nationalen und internationalen Wettkämpfen erreicht. zugt MRT) werden bei pathologischen Werten in der erwähnten seitlichen Röntgenaufnahme und/oder bei neurologischen Auffälligkeiten und/oder bei Vorliegen eines Os odontoideum (akzessorischer Knochen an der Spitze des Dens axis) durchgeführt. Ein noch früheres Screening sollte bei Notwendigkeit einer Intubationsnarkose vor dem erwähnten Alter oder selbstverständlich bei neurologischen Auffälligkeiten erfolgen. Abbildung 4 zeigt den von uns verfolgten Algorithmus zur Abklärung einer möglichen Instabilität der HWS bei Kindern mit Trisomie-21. Da die Interpretation von Röntgenbildern der kindlichen HWS eine gewisse Routine verlangt, empfehle ich, die Screening-Untersuchung an einem ausgewiesenen Zentrum mit entsprechender Erfahrung durchführen zu lassen. Der/die zuständige Kinderarzt/-ärztin sollte sich primär der möglichen Problematik bewusst sein und die Familie – allenfalls gemeinsam mit einem Spezialisten – adäquat und kompetent beraten können. Die generierten Kosten mit einem generellen Screening der HWS bei Kindern mit Trisomie-21 sind unter Berücksichtigung möglicher Folgekosten von verpassten Instabilitäten und insbesondere der Beeinträchtigung der Lebensqualität der betroffenen Patientinnen und Patienten durch allfällige operative Interventionen oder unnötige Restriktionen im sportlichen Alltag mehr als gerechtfertigt. ■ Abbildung 3: Ausschnitt eines seitlichen Röntgenbildes der Halswirbelsäule in Neutralstellung und Illustration der zu bestimmenden Parameter: ADI = Atlanto-Dentales Intervall, SAC = Space Available for Cord (Platz für das Rückenmark), BAI = Basion-Axiales Intervall. Als individuelle Risikokriterien für eine atlanto-axiale Instabilität wurden folgende Werte definiert: ADI ≥ 6 mm, SAC ≤ 14 mm, BAI > 12 mm. Die international am häufigsten anzutreffenden Vorgaben verlangen bisher kein generelles Screening der HWS von Kindern mit Trisomie-21. Eine Abklärung wird empfohlen vor einer geplanten Intubationsnarkose, vor der Aufnahme sportlicher Aktivitäten mit erhöhtem Risiko für Kopf- oder Nackenverletzungen und, zwingend, vor der Teilnahme an den Special Olympics. Unter Berücksichtigung der jüngsten Literatur gehen wir noch etwas weiter und verfolgen bei uns am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) ein standardisiertes Vorgehen und befürworten ein generelles Screening. Bei bis dahin fehlenden klinischen Auffälligkeiten führen wir im Alter von 4–5 Jahren ein konventionelles seitliches Röntgenbild der HWS in Neutralstellung durch. Eine aktuelle Untersuchung aus Nordamerika konnte aufzeigen, dass auf diese Weise mit hoher Effizienz eine atlanto-axiale Instabilität ausgeschlossen werden kann6. In Abbildung 3 sind die bei der Auswertung des Röntgenbildes relevanten Parameter inklusive deren Referenzwerte dargestellt und erklärt. Ergänzende, ärztlich begleitete Funktionsaufnahmen in Flexion und Extension und/oder eine Schichtbildgebung (bevorFoto: © D. Studer

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