FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 01 / 2023 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 28 Tabelle 1 Die Quadriga einer umfassenden kinderärztlichen Haltung für ein Kind mit Trisomie-21 (modifiziert nach [13]): ■ Umsichtige Neugier: proaktives, sensibles Erkennen, Besprechen und Behandeln von Problemen und Bedürfnissen ■ Respektvolle Geduld: Kind-zentrierte und Familien-orientierte Umsetzung von Diagnostik, Therapien und Unterstützungsangeboten mit Blick auf individuellen Bedarf an Zeit und Informationen einzelner Familien- und Teammitglieder ■ Ganzheitliche Aktivität: Positive Veränderung unterstützen auf unterschiedlichen Ebenen (bio-psycho-soziospirituell), an verschiedenen Orten (zu Hause, Institutionen, Entlastungsangebote, Spital), für unterschiedliche Familienmitglieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten ■ Persönliche Demut (von Dien-Muoth, dem Mut zu dienen, also für jemanden da zu sein): Zurückhaltende eigene Interpretationen von Evidenz und Werten (keine Prognosen, keine Wertung). Zurückhaltende Gewichtung der eigenen Rolle, ohne aber Kindeswohl und die persönlichen Werte der Familie (als Teil des Kindeswohls) aus den Augen zu verlieren sein kann: Schlussendlich geht es weder um hochtrabende Philosophie noch um moralischen Fundamentalismus, sondern um eine Offenheit gegenüber dem erstaunlichen Chaos des Lebens mit all seinen Facetten. Dies lässt sich vielleicht mit vier Aspekten einer kinderärztlichen Haltung beschreiben, wie sie in Tabelle 1 zusammengefasst ist. Mit dieser Haltung kann der Blick auf das Wunder des Lebens sogar dann bestehen bleiben, wenn sich eine individuelle Familie nach umfassender Information bewusst und sorgsam für einen Schwangerschafts-, oder später, bei schweren und leidvollen Komplikationen, zu einem Therapieabbruch entscheidet. Innerhalb von bestimmten ethischen Grenzen soll dann nicht die Entscheidung der Familie bewertet werden, sondern unsere Professionalität in der Förderung und Umsetzung von Massnahmen, die zu einer Welt beitragen, in der Familien und ihr Kind mit Trisomie-21 mit liebevoller Offenheit, Akzeptanz und der nötigen Unterstützung und möglichst wenigen Hürden empfangen werden. Eine Ethik für Trisomie-21 in der Kinder- und Jugendmedizin erschöpft sich somit nicht im Nachdenken und schon gar nicht im Disput über andere Ansichten, sondern gibt uns das Rüstzeug, die Kraft und die Motivation, für diese Kinder und Familien gute Kinderärztinnen zu sein. ■ LITERATUR 1. Streuli JC. Ein ethischer Notfallkoffer für die Kinderarztpraxis. KINDERÄRZTESCHWEIZ [Internet]. 2020 [cited 2021 Sep 22];(1). Available from: https://epaper.vsdruck.ch/kinderaerzteschweiz/ kis202101/24/ 2. Jaramillo S, Moreno S, Rodríguez V. Emotional Burden in Parents of Children with Trisomy 21: Descriptive Study in a Colombian Population. Univ Psychol. 2016 Jul 1;15(1):29–38. 3. Mégarbané A, Ravel A, Mircher C, Sturtz F, Grattau Y, Rethoré MO, et al. The 50th anniversary of the discovery of trisomy 21: The past, present, and future of research and treatment of Down syndrome. Genet Med. 2009 Sep;11(9):611–6. 4. Bull MJ. Down Syndrome. N Engl J Med. 2020 Jun 11;382(24): 2344–52. 5. Robeck J. Von der Segregation über Integration zur Inklusion: aus psychologisch-pädagogischer Sicht. Vindobona-Verlag; 2012. 6. Frewer A. Medizingeschichte, Ethik und Menschenrechte Vom Nürnberger Ärzteprozess zum Genfer Gelöbnis. 7. Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [Internet]. May 15, 2014. Available from: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2014/245/de 8. Streuli JC. Kinderrechte in der pädiatrischen Praxis. Kinderärzte Schweiz. 2016;2016(3):14–5. 9. Insieme21 [Internet]. [cited 2023 Jan 27]. Available from: https:// www.insieme21.ch/ 10. Inclusion Handicap [Internet]. Inclusion Handicap. [cited 2023 Jan 27]. Available from: https://www.inclusion-handicap.ch/ de/inclusion-handicap-dachverband-der-behindertenorganisationen-schweiz-1.html 11. Procap [Internet]. 2023 [cited 2023 Jan 27]. Available from: https://www.procap.ch/ 12. Pro Infirmis [Internet]. [cited 2023 Jan 27]. Available from: https:// www.proinfirmis.ch/index.html 13. Streuli JC, von Mengershausen U. Pädiatrische Palliative Care – wenn das Ende mit dem Anfang kommt. Praxis. 2021 Nov;110(15):907–13.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx