KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2023

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 01 / 2023 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 24 trächtigung der Nasenatmung. Aus zahnmedizinischer Sicht stehen Zahnentwicklungsstörungen mit verzögertem Zahndurchbruch, Verzögerung des Zahnwechsels, Veränderungen der Zahnzahl sowie Modifikation der Zahnform und Stellungsanomalien der Zähne und des Kiefers im Vordergrund. Immunologische Besonderheiten des DS in Kombination mit schlechter Mundhygiene und Zahnanomalien führen zu Gingivitiden, Parodontitis und Karies. Empfehlung: Beurteilung der orofazialen Strukturen und Funktionen durch einen erfahrenen Logopäden im Neugeborenenalter zur Optimierung der Nahrungsaufnahme sowie Begleitung und Instruktion der Eltern. Im Idealfall erfolgt die erste Kontaktaufnahme und Beurteilung im Wochenbett und die Therapeutin steht der Familie ambulant weiter als Ansprechpartnerin zur Verfügung oder stellt den Kontakt für eine weitere externe ambulante Betreuung her. Regelmässige klinische Beurteilung der Mundfunktion durch Eltern und Kinderarzt, ggf. ergänzt durch Therapeutinnen im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen im Hinblick auf Lippenhaltung, Zungenlage, Saugbewegungen, Unterkieferlage, Mundschluss und Mundhygiene. Im Alter von 6 Monaten bzw. vor dem ersten Zahndurchbruch sollten Eltern über die Besonderheiten der Zahnentwicklung und über die Bedeutung einer guten Mundhygiene aufgeklärt werden. Regelmässige, einmal jährliche Besuche beim Zahnarzt, beginnend mit 2–3 Jahren, sollten lebenslang erfolgen. Eine kieferorthopädische Beurteilung wird im 6. Lebensjahr empfohlen. Frühere Kontrollen oder weiterführende Kontrollen nach Befund. Spezifische orofaziale Therapien sollten bei entsprechenden orofazialen Auffälligkeiten in Betracht gezogen und mit erfahrenen Therapeutinnen evaluiert werden. Komplementäre Interventionen und Therapien Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen wird der Pädiater, neben Fragen zum Erhalt der physischen Gesundheit, mit Nachfragen zu ergänzenden Therapien und Massnahmen zur Förderung der kognitiven oder sprachlich-intellektuellen Entwicklung konfrontiert. Neben etablierten (Früh-)Fördermassnahmen wie z. B. die heilpädagogische Frühförderung, Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie kommen Fragen zu weniger gut evaluierten Behandlungen wie gezielte Nahrungsergänzung (TNI) (Hammersen, Zeitschift Leben mit DS No. 100 Mai 2022) oder neuen experimentellen Therapieansätzen (Manfredi-Lozano 2022). Eltern wollen in der Regel das Beste für ihr Kind und fühlen sich bei der Thematisierung alternativer Therapieansätze von Vertreterinnen der Schulmedizin häufig nicht ernst genommen und sind deshalb verunsichert, ob sie das Thema im Rahmen der Vorsorge ansprechen sollen. Man geht davon aus, dass in Familien mit Kindern mit DS die Anwendung von integrativer Medizin weit verbreitet ist. Empfehlung: Der Pädiater sollte früh eine an die Bedürfnisse des Kindes angepasste interdisziplinäre Förderung einleiten. Der Kontakt bzw. die Anbindung an die heilpädagogische Frühförderung sowie die Etablierung von Fördermassnahmen mit Anbindung an die Logopädie, Physiotherapie und Ergotherapie sollte in den ersten Lebensmonaten erfolgen, um der Familie ein «therapeutisches» Netzwerk zu schaffen, auf das man zurückgreifen kann. Welche Therapien zur Anwendung kommen und in welcher Frequenz, ist abhängig von den individuellen Bedürfnissen und von den lokalen Gegebenheiten. Sämtliche Therapien sollten stets mit Zieldefinitionen erfolgen, welche auch im Alltag realistisch umsetzbar sind, und die Therapeuten sollten die Eltern und Betreuungspersonen über diese Ziele orientieren und miteinbeziehen. Die Kinderärztin sollte gezielt nach der Verwendung von alternativen Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln fragen, welche im ungünstigsten Fall schädlich sein können. Zentrale Herausforderung für die Begleitung, auch in Bezug auf für Therapeut und Familie schwierige Themen und Situationen ist es, die Eltern so zu unterstützen, dass sie selbst möglichst angemessene Entscheidungen treffen können (Andreas Hinz, Zeitschrift Leben mit DS No. 100 Mai 2022). Fazit und Ausblick Das bessere Verständnis um die gesundheitlichen Besonderheiten bei Menschen mit DS und die über die letzten Jahrzehnte verbesserten Therapien haben zu einer deutlich erhöhten Lebenserwartung und Lebensqualität bei Menschen mit DS geführt. Durch die Aufnahme der Trisomie-21 in die Liste der Geburtsgebrechen im Jahr 2016 wurde die Notwendigkeit einer spezifischen medizinischen Vorsorge auch von der Schweizerischen Eidgenossenschaft anerkannt und mit der Etablierung der ersten DS-Sprechstunde in der Schweiz durch Dr. Mark Brotzmann am UKBB steht nun erstmals eine Anlaufstelle für Familien und Fachpersonen zur Verfügung (siehe S. 39). Eine Herausforderung bleibt der Zugang zu medizinischen und nichtmedizinischen Ressourcen. (Siehe dazu auch unsere Sammlung von Ressourcen im Artikel «Hilfreiches zum Thema Trisomie-21» auf S. 44– 45.) Die hier vorgestellten Empfehlungen sollten als Mindeststandard in der Betreuung von Menschen mit Down-Syndrom und Ihrer Familien verstanden werden. Auf der Basis des aktuellen Wissensstandes sollten Evidenz- und Konsensus-basierte nationale Empfehlungen durch die Fachgesellschaft pädiatrie schweiz (SGP) publiziert werden. ■

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