KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2023

01 / 2023 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 23 Kognition, Neurologie und Neuropsychiatrie Nahezu alle Menschen mit DS haben eine Einschränkung der Intelligenz, die häufig einer mittelschweren Minderung entspricht. Kinder mit DS entwickeln sich nach dem gleichen Muster wie andere Kinder, jedoch werden die entsprechenden Entwicklungsschritte häufig verspätet erreicht. Die grob- und feinmotorische Entwicklung ist verzögert, ebenso die Sprachentwicklung, wobei das Sprachverständnis als besser als die expressive Sprache beschrieben wird. Hinweis: Mehr zum Thema Sprachentwicklung bei Kindern mit Trisomie-21 im Artikel von Frau Prof. E. Wilken auf Seiten 32–35. Häufig beschriebene Verhaltensauffälligkeiten sind: Selbstgespräche und Gespräche mit imaginären Freunden, Festhalten an gleichen Abläufen und Gegebenheiten (Rituale), verzögerte Reaktion und die Unmöglichkeit, auf Stress oder dirigistische Anforderungen sofort zu reagieren (Blockaden), Langsamkeit, Willensstärke und Sturheit, Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu äussern, bestimmte Gedächtnis-Stärken und -Schwächen. Diese Verhaltensauffälligkeiten müssen den behandelnden Ärztinnen und Therapeuten bekannt sein, da sie in der Regel nicht im Sinne einer psychiatrischen Störung zu werten sind (AWMF 2016, Seite 65). Ca. 10% der Kinder mit DS und ca. 30% der Erwachsenen mit DS entwickeln eine Epilepsie. BNS-Krämpfe (West-Syndrom) sind die häufigste Epilepsieform mit Altersgipfel im 1. Lebensjahr. Einfache und komplex-partielle Epilepsien sowie tonisch-klonische Krampfereignisse treten gehäuft im Erwachsenenalter auf. Eine Differenzialdiagnose zu Krampfanfällen ist die Moyamoya- Angiopathie. Bis zu 80 % der Erwachsenen mit DS entwickeln bis zum 65. Lebensjahr eine AlzheimerDemenz. Neuropsychiatrische Störungen wie Autismus-Spektrum-Störungen (7–16 %), ADHS (5–30%), emotionale Probleme bis zur Depression und Angststörungen kommen vor. Empfehlung: Es sollten jährliche neurologische Kontrollen und Untersuchungen durch die Kinderärztin erfolgen. Betreuer und Therapeutinnen sollten die häufig beschriebenen sozialen und kommunikativen Besonderheiten sowie Verhaltensbesonderheiten kennen, um DStypische Verhaltensauffälligkeiten nicht als psychische Störungen zu interpretieren und umgekehrt. Da das kognitive Entwicklungsalter meistens nicht dem chronologischen Alter entspricht, sollte das Verhalten am Entwicklungsalter gemessen werden. Die Diagnostik sollte einem definierten Prozess folgen und zu einem Zeitpunkt erfolgen, der eine Diagnose mit ausreichender Sicherheit zulässt. Im Rahmen der Diagnosestellung psychischer Störungen sollte eine organische Ausschlussdiagnostik (Zöliakie, Schmerzen, SD-Funktionsstörungen, eingeschränkte Kommunikation durch Visus-/Hörminderung, Schlafstörungen, OSAS) erfolgen. Screening aller Kinder auf Autismus durch den Kinderarzt im Alter von 18–24(– 36) Monaten, um die Diagnosestellung und Einleitung einer Förderung nicht zu verzögern. Wachstum und Entwicklung Wachstumskurven sind in der Pädiatrie ein wichtiges Instrument zur Beurteilung des Gesundheitszustandes und ermöglichen es, Erkrankungen, die mit einer Beeinträchtigung des Wachstums und der Entwicklung einhergehen, rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Das sorgfältige Messen und die richtige Interpretation der Messung im individuellen Kontext ist somit ein wichtiger Bestandteil der Vorsorgeuntersuchungen. Bei Kindern mit DS verläuft das Längenwachstum nicht gleichmässig und die Phasen des schnellen Wachstums im 1. Lebensjahr und in der Pubertät werden langsamer durchlaufen. Die endgültige Körpergrösse wird bei Männern im Mittel mit 163,3cm angegeben (AWMF) und für Frauen mit 149,6cm (AWMF). Männer und Frauen mit DS sind somit 19–20cm kleiner als Männer und Frauen ohne DS. Übergewicht und Adipositas treten gehäuft auf. Die Überwachung der Gewichtsentwicklung ermöglicht eine frühzeitige Intervention mit dem Ziel der Prävention einer Adipositas durch Aufklärung der Familie und Verbesserung des Ess- und Bewegungsverhaltens. Empfehlung: Monitoring von Wachstum, Gewicht und Gewicht-für-Länge, BMI im Rahmen der jährlichen Vorsorgeuntersuchung. Die in der Schweiz verwendeten Standard-Wachstumskurven erlauben im Rahmen der regelmässigen, jährlichen Vorsorgeuntersuchungen abzuschätzen, wo das Kind im longitudinalen Verlauf steht und ob es seinen Wachstumskanal verlassen hat. Es sollte eine ergänzende Dokumentation des Wachstums mithilfe von DS-spezifischen Wachstumskurven (siehe S. 45) erfolgen. Verwendung finden häufig die Wachstumskurven aus Deutschland (DS-Infocenter, Rohrer et al.) sowie die Kurven der American Academy of Pediatrics (CDC Growth Charts DS). Informationen an die Familie zur Ernährung mit ggf. spezifischer Ernährungsberatung sowie Motivation zu regelmässiger Bewegung und Sport. Information der Familien zu lokalen und überregionalen Angeboten (z. B. über Plusport.ch/de). Orofaziale Aspekte Kinder mit DS haben häufig Probleme im orofazialen Bereich. Pathologische Kiefermasse, Muskelhypotonie mit sekundär unvollständigem Mundschluss und Zungenprotrusion (relative Makroglossie) führen zu Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, beim Saugen und Sprechen, mit Beeinträchtigung der Sprachentwicklung und Artikulation. Zusätzlich kommt es durch die häufig engen Nasengänge zu Sekretverlegungen mit Beein-

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