KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 2/2022

38 FORTB I LDUNG: THEMENHEFTTE I L 02 / 2022 K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ Einleitung In unseren kinderärztlichen Sprechstunden sehen wir viele Kinder und Jugendliche mit seelischen Beschwerden wie Ängsten, Zwängen und Depressionen und psychosomatischen Symptomen wie funktionellen Bauch- oder Kopfschmerzen. In Anbetracht des kinderpsychologischen Versorgungsnotstandes und im Sinne einer ganzheitlichen kinderärztlichen Betreuung wäre es hilfreich, wenn wir unsere Patienten diesbezüglich unterstützen könnten. Dafür gibt es nun ein einfaches Tool, welches auf dem «inneren Team» beruht. Hintergrund Das «innere Team» wurde in den 1990er-Jahren durch den Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun bekannt gemacht, welcher dieses folgendermassen beschreibt: «Der Mensch ist mit sich selber nicht immer ein Herz und eine Seele. Es ist gar nicht so leicht, mit dieser inneren Pluralität fertig zu werden, mit diesem inneren Durch- und Gegeneinander. Das Modell will helfen, damit klarzukommen und aus dem zerstrittenen Haufen ein wirkliches Team zu machen.» Das Problem dabei: Die Kinder müssen ihre inneren Teammitglieder mit einem hohen Mass an Introspektionsfähigkeit selber finden, was sie, je jünger sie sind, oft überfordert. Um den Kindern an dieser Stelle eine Bildsprache anzubieten, wurde «die Burggemeinschaft» entwickelt. Es handelt sich dabei um ein Modell des inneren Teams, welches als Metapher eine Burg verwendet. Dabei wird den Kindern erklärt, dass sie sich vorstellen können, dass ihr Körper wie eine Burg ist. Ihre Gedanken und Gefühle stammen von den Burgbewohnerinnen. Diese sind namentlich bekannt und illustriert. Konkrete Vorgehensweise Zuerst benennt das Kind seine seelische Herausforderung möglichst genau. Nehmen wir hier als Beispiel Prüfungsangst. Um das Kind in die Bildwelt der «Burggemeinschaft» einzuführen, kann nun das Kinderbuch «Die geheimnisvolle Holztruhe» erzählt werden (erschienen beim Blaukreuzverlag). Als Nächstes wird dem Kind vermittelt, dass es über eine eigene Burggemeinschaft verfügt: «Hast du in deinem Leben schon einmal Angst gehabt?» und «Hast du in deinem Leben schon einmal etwas Mutiges getan?», fragt die Ärztin. Beide Fragen werden in der Regel mit «ja» beantwortet, worauf die Anschlussfrage lautet: «Bist du nun ein ängstliches oder ein mutiges Kind?». Die Kinder antworten in der Regel: «Beides!» «Richtig!», entgegnet die Ärztin und legt dem Kind (im Falle eines Mädchens) die Charakterkarten der aufmerksamen Wachfrau (Angst) und der stolzen Heerführerin (Mut) vor (Charakterkarten ebenfalls erhältlich beim Blaukreuzverlag). Auch die «Chefkarte» der weisen Burgherrin wird dazugelegt. Nun begibt sich das Kind gedanklich in die Prüfungssituation. «Welche Burgbewohnerin meldet sich als Erstes?», fragt die Ärztin. «Die ängstliche», sagt das Kind und zeigt auf die Wachfrau. «Wie könnte die Chefin, DR. MED. JOHANNES GREISSER FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, KINDER- UND JUGENDPRAXIS ARCHE, AARBERG Korrespondenzadresse: johannes.greisser@hin.ch Das Modell der Burggemeinschaft: Ein einfaches und hilfreiches Tool bei psychischen Herausforderungen Stolze Heerführerin (Mut) Aufmerksamer Wachmann (Angst)

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