19 02 / 2022 FRÜHL INGSTAGUNG K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ MPA Referat 1: Das zuckende Kind Es muss nicht immer Epilepsie sein: nützliche Hinweise bei der Beurteilung eines zuckenden Kindes Erster Hinweis: das Kinderärzte Schweiz Telefontriage-Manual für die pädiatrische Praxisassistentin benutzen, als Entscheidungshilfe der Behandlungsstufen! Das Telefongespräch soll mit den folgenden Fragen geordnet werden: ■ Bekanntes Kind? ■ Wie alt? ■ Die anrufende Person zuerst frei erzählen lassen ■ Wie lange besteht das Zittern, gibt es Auslöser, an welcher Körperstelle? ■ Ist das Kind dabei wach? ■ Zusätzliche Beschwerden? ■ Nimmt es Medikamente? ■ Fragen nach lebensbedrohlichen Zeichen? Wenn möglich ein Video des Anfalls zusenden lassen, dabei das Kind beim Zittern/Zucken berühren, schauen, ob das Zucken unterbrochen werden kann. Grundsätzlich gilt: Tremor (Zittern) ist unwillkürliches, meist rhythmisches Schütteln, es geht hin und her. Feines Zittern bei Bewegung, zum Beispiel beim Versuch eine Schraube einzudrehen, ist nicht bedenklich. Beim Krampf geht die Bewegung immer in eine Richtung, sei es die Hand- oder auch die Augenbewegung. Grobes Zittern in Entspannung hat immer eine neurologische Ursache und muss abgeklärt werden. Wann besteht eine vitale Gefährdung? Säuglinge: Schmerzen/ Fieber, plötzliches Augenverdrehen In jedem Alter: Epileptische Anfälle, Synkopen, Auftreten im Schlaf Zur Einschätzung der Situation am Telefon die Liste «Red Flags» bei Zittern unbedingt zu Rate ziehen. Auch wenn nur ein Punkt zutrifft, muss das Kind sofort einbestellt werden! Wann sollte das Kind mit der Ambulanz ins Spital transportiert werden? • Unerklärlicher Bewusstseinsverlust, das Kind muss beobachtet werden, dies ist im Auto nicht möglich • Krampfanfälle mit Verwirrtheit und das Kind ist nicht ansprechbar, kein Zugang zum Kind möglich Wenn das Kind krampft, der Krampf vorbei ist und das Kind locker ist, dann ist es stabil, auch wenn es nicht ansprechbar ist. Ein zweiter Anfall kommt nicht direkt nochmals. Unterscheidung, wenn die Eltern sagen, das Kind sei «blau»: Blaue Lippen, Nasenspitze oder Ohrenspitzen sind nicht gefährlich, es zeigt vielmehr, dass der Körper arbeitet: Gehirn-Schutz-Mechanismen. Einige eindrückliche Fallbeispiele: Beispiel 1 Kind (5 Jahre) schüttelt sich schon seit längerer Zeit jeden Abend in den Schlaf, bewegt den Oberkörper hin und her, schläft dann ruhig und ist morgens ausgeschlafen! Mutter schickt ein Video. Diagnose: Einschlafritual (body rocking): vom Kind selbstgewähltes Ritual Beispiel 2 11-monatiges Mädchen: seit 1 Woche für 2–5 Sekunden Zitterattacken. Mutter beschreibt sie, als würde es sie schaudern, als würde man ihr Wasser über den Kopf schütten. Mutter schickt ein Video. Diagnose: shuddering attack (Schaudern) wird emotional ausgelöst, vergleichbar mit Ticks: Diese dienen zur Entspannung und sind harmlos. Diese hören von alleine auf und müssen nicht behandelt werden. Beispiel 3 11-jähriger Junge verzieht das Gesicht und zuckt im Gesicht und mit den Händen beim TV-Schauen. Sobald die Mutter den TV ausstellt, hören die Zuckungen auf. Red-Flag-Check: sie sind unterbrechbar, emotional verbunden, kommen und gehen, daher harmlos. Diagnose: mithilfe von Video der Mutter: motorischer Tick mit bizarrem Charakter, wechselnde Bewegungsmuster. Abhilfe könnte z. B. ein Stressball bieten. REFERENT: DR. MED. SILVANO VELLA Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin FMH, Schwerpunkt Neuropädiatrie, Kinderneurologische Praxis in Bern, Belegarzt im LindenhofSpital, Bern AUTORIN: ARIANE LÜTHI, MPA Kinder- und Jugendpraxis am Bollwerk, Bern Korrespondenzadresse: kinderarzt.bollwerk@hin.ch
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