Zenit Nr. 4, November 2022

Für 86 Prozent der Rentnerinnen und Rentner schafft das Drei-Säulen-System finanzielle Sicherheit im Alter. Fast 300 000 Personen über 65 Jahren sind jedoch von Altersarmut betroffen oder gefährdet. Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 22 23 VON ALEXANDER WIDMER * Eine repräsentative Befragung von Pro Senectute Schweiz, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Universität Genf zeigt auf, dass gegen 300 000 Personen von Altersarmut betroffen oder gefährdet sind. Dies entspricht bisherigen Untersuchungen. Die Altersarmut nimmt aber aufgrund des demografischen Wandels in absoluten Zahlen zu. Verschiedene Eigenschaften erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Altersarmut. Neben Frauen und ausländischenStaatsbürgernund -bürgerinnen sind vor allem Personen ohne sekundäre oder tertiäre Ausbildung betroffen, auf dem Land zudem mehr als in Städten. Treffen mehrere solcher Risikofaktoren aufeinander, wird ihr jeweiliger Einfluss noch verstärkt. Der Bildung kommt dabei eine entscheiAltersarmut ist eine Tatsache ALTERSARMUT dende Rolle zu. Die Analysen zeigen, dass eine höhere Ausbildung nicht nur das Risiko von Armut senkt, sondern auch den Einfluss anderer Faktoren schmälern kann. Leben mit klenem Budget Altersarmut hat nicht nur einen direkten Einfluss darauf, was sich im Portemonnaie befindet. Der soziale Austausch ist häufig mit Kosten verbunden, und der Stress, den ein kleines Budget auslösen kann, hat zusätzlich gesundheitliche Folgen. So leiden von Armut betroffene Rentnerinnen und Rentner häufiger an Einsamkeit, sind * Alexander Widmer, Mitglied der Geschäftsleitung von Pro Senectute Schweiz Pro Senectute berät ältere Menschen und ihre Angehörigen kostenlos und vertraulich in finanziellen Fragen. Bei einer Beratung wird geklärt, ob Ergänzungsleistungen, Individuelle Finanzhilfe oder bei einem Hilfsfonds Unterstützung beantragt werden kann. Mit dem EL-Rechner können Sie einen potenziellen Anspruch auf EL selber abklären: prosenectute.ch/el-rechner Vielen Dank für Ihre Solidarität Der im letzten Zenit 3/2022 geschilderte Fall von Hanspeter Müller, der unter dem Existenzminimum leben muss, hat viele Reaktionen ausgelöst. Vielen Dank für die Anteilnahme und die Angebote für die Direkthilfe. Herr Müllers Reisewunsch nach Bremerhaven wird in Erfüllung gehen. HERBSTSAMMLUNG Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 22 21 VON ESTHER PETER Hanspeter Müllers * Einnahmen bestehen aus einer AHVRente, einer Pensionskassenrente sowie Ergänzungsleistungen. Ab 54 bis zur Pensionierung bezog er aufgrund gesundheitlicher Schwierigkeiten eine IV-Rente. Aufgrund von Schulden, welche seine Ehefrau (inzwischen Ex-Frau) durch ihre Kaufsucht verursacht hat, wird die Pensionskassenrente von Herrn Müller bis zum betreibungsrechtlichen Existenzminimum gepfändet. Er lebt somit unter dem ergänzungsrechtlichen Existenzminimum und muss nach wie vor Alimente an seine Ex-Frau bezahlen. Seine finanzielle Situation ist folglich alles andere als rosig. Grosse Spünge sind nicht möglich Diese Schuldenlast drückt auf die Moral. Nach Hüft- und Knieoperationen sowie der Scheidung von seiner Frau lief alles aus dem Ruder. «Ich hatte keine Übersicht mehr», erzählt der heute 70-Jährige. Die Steuern kann er seither nicht mehr bezahlen, da er aufgrund der Pfändung der Pensionskassenrente keine Möglichkeit hat, den Betrag für Steuern zurückzustellen. Dazu kommt, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen eine rollstuhlgängige und vor allem finanzierbare Wohnung suchen musste. Im Luzerner Hinterland fand er eine geeignete 2-Zimmer-Wohnung im Parterre. Ein Glücksfall sei dies, sagt er. Er pflegt guten Kontakt zum Vermieter und zu den Nachbarn, geniesst das Naherholungsgebiet bei kleineren Spaziergängen und hat sogar einen eigenen Garten. Der «Pflanzblätz» gibt ihm nicht nur eine willkommene Tagesstruktur, sondern ist auch ideal zum Überbrücken von finanziellen Engpässen. Salat, Bohnen, Gurken, Kürbis, Lauch und vieles mehr wächst und gedeiht in seinem Garten. Dank des Eigenanbaus und sehr sparsamen Haushaltens kommt er heute mit der nach allen Abzügen verbliebenen AHV einigermassen über die Runden. Grosse Sprünge sind aber nicht möglich. Auswärts essen oder ein paar Ferientage kann er sich nicht leisten. Beim Einkauf achtet er penibel auf Aktionen und Halbpreis-Angebote. Er weiss genau, wie und wo er ein paar Franken einsparen kann. So bleibt am Ende des Monats zwar nach wie vor nichts übrig, aber der Schuldenberg wächst – mit Ausnahme der bereits erwähnten Steuern – auch nicht weiter an. «Ich bin glücklich und zufrieden, wie es mir derzeit geht und was ich habe – aber ich bin auch einsam.» Mindestens einmal jährlich trifft er sich mit der Sozialberaterin von Pro Senectute. Zusammen prüfen sie seine aktuelle Situation und sein Befinden. Für diese Unterstützung ist er sehr dankbar. Einen einzigen Reisewunsch hat Hanspeter Müller aber doch noch: «Einmal den Grosssegler ‹Gorch Fock›, das Schulschiff der deutschen Marine, in Bremerhaven live zu sehen, das wäre wunderbar.» *Name der Redaktion bekannt Foto: Adobe Stock Leben und haushalten mit kleinem Budget Hanspeter Müller * lebt unter dem ergänzungsrechtlichen Existenzminimum. Der jährliche Austausch mit der Sozialberaterin von Pro Senectute ist für ihn deshalb sehr wichtig. Spenden für die Altersarbeit Vom 19. September bis zum 29. Oktober findet die von der ZEWO bewilligte Hebstsammlung von Pro Senectute statt. In rund 70 Gemeinden des Kantons Luzern werden in dieser Zeit zirka 640 Freiwillige wieder unterwegs sein, sei es an der Tür oder beim Verteilen unseres schriftlichen Sammlungsaufrufes. In der Stadt Luzern und 35 weiteren Gemeinden werden diese verteilt oder per Post verschickt. Dank des Spendenertrags aus der HESA kann Pro Senectute all ihre Angebote und Dienstleistungen für vulnerable Personen kostenlos anbieten, so dass ältere Menschen möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden führen können. Spendenkonto: IBAN CH86 8080 8005 7958 7261 9 20_21_HESA3.indd 21 13.09.22 11:18 weniger zufrieden mit ihrem Leben, und ihr Gesunheitszustand ist schlechter im Vergleich zu ihren finanziell besser gestellten Altersgenossinnen und -genossen. Pro Senectute beobachtet die Situation genau und setzt sich mit Beratung, Finanzhilfe und auf politischer Ebene weiterhin mit Hochdruck dafür ein, dass ältere Menschen bis ins höchste Alter als wertgeschätzte Mitglieder der Gesellschaft leben können – frei von Altersarmut und Ausgrenzung. Pro Senectute hilft Foto: Adobe Stock

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