Zenit Nr. 3, September 2023

Sie hat den eleganten Fifa-Hauptsitz gebaut, das archaische Gipfelrestaurant auf dem Aroser Weisshorn oder das Aufsehen erregende Gemeindehaus von Unterengstringen. Seit 54 Jahren prägt Tilla Theus die Schweizer Architektur. Kürzlich wurde die gebürtige Churerin mit dem Bündner Kulturpreis ausgezeichnet. Auf Rente hat die 80-Jährige «so gar keine Lust». Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 23 5 VON ASTRID BOSSERT MEIER Der Blumenstrauss mit Gladiolen und Sonnenblumen ist so ausladend, dass die zierliche Architektin dahinter fast verschwindet. Abgesehen davon ist Tilla Theus an diesem Sommerabend jedoch unübersehbar. Nicht etwa wegen ihres Hosenanzugs aus dunklem Satin, von dem Dutzende knallroter, gelber, grüner und blauer Herzen leuchten. Auch nicht wegen ihrer charakteristischen runden Hornbrille, die sie längst getragen hat, bevor die Form wieder trendig wurde. Sondern weil die 80-jährige Architektin Hauptperson des heutigen Anlasses ist, an dem sie von ihrem Heimatkanton mit dem Bündner Kulturpreis 2023 geehrt wird. Verwirrender Anruf Die Auszeichnung berührt und freut die gebürtige Churerin, die seit Jahrzehnten in Zürich lebt. Erwartet hat sie sie offenbar nicht. Denn als Regierungsrat Jon Domenic Parolini ihr die frohe Botschaft telefonisch ankündigen wollte, verstand sie den Grund seines Anrufs nicht. «Ich dachte, ich sollte eine Lobrede halten», erinnert sie sich. «Doch er sagte nie, über wen.» Erst da realisierte sie, dass sie selber die Geehrte ist. Laudator Köbi Gantenbein, langjähriger Chefredaktor und Verleger der Architekturzeitschrift «Hochparterre», beschreibt Tilla Theus an der Preisverleihung als Frau, die «alles auf eine Karte setzte» und in den letzten 54 Jahren ein reiches Werk erschaffen habe: «Altersheim und Kindergarten, Büro- und Gewerbebau, Hotel und Restaurant, Schule, Gemeindehaus und Turnhalle, Warenhaus, Palast für eine Firma, nobles Wohnhaus für den dicken Geldsäckel und Haus mit vielen Wohnungen für das günstige Wohnen.» Und der Bündner Regierungsrat Parolini ehrt die Architektin, weil sie als Baukünstlerin eigene Wege gehe «und sich in einer von Männern geprägten Welt durchgesetzt» habe. Durchsetzungskraft war tatsächlich gefordert. Denn der berufliche Weg von Tilla Theus war steinig. Mehr noch: «Er war viel härter, als ich ihn mir je vorgestellt hatte», sagt IM ZENIT Fotos: Raphael Hünerfauth sie rückblickend. In den 1960er-Jahren studierte die junge Bündnerin als eine von wenigen Frauen an der ETH Architektur. Abgesehen von kleinen Sticheleien bleibt diese Zeit in guter Erinnerung. «Mann oder Frau war kein Thema, Qualität allein zählte.» Als sie jedoch am Tag nach ihrer Diplomierung ein eigenes Architekturbüro eröffnete, wehte ihr eine deutlich steifere Brise entgegen. Nicht nur gegen die Konkurrenz musste sie sich behaupten, sondern auch gegen Paragraphen. In ihrem ersten Geschäftsjahr gewann Tilla Theus den Wettbewerb für den Um- und Neubau eines Altersheims mit Alterswohnungen in Mollis, bei welchem sie auch gleich die Bauleitung übernehmen sollte. Doch die Architektin war inzwischen in erster Ehe verheiratet. Gemäss altem Eherecht verlor sie damit ihre Mündigkeit in Finanzfragen. Das forderte einen Entscheid der Glarner Regierung: «Regierungsrat Kaspar Rhyner hatte ein Einsehen, dass ich meinen Beruf unmöglich ausüben konnte, wenn jeder Regierapport von meinem Mann hätte mitunterzeichnet werden müssen.» Also verfasste der Regierungsrat ein Schreiben, wonach die verheiratete Architektin für diesen Bau auch für finanzrelevante Themen unterschriftsberechtigt sei. «So war ich gerettet.» Unterschätzte Berufskollegin Selbst Jahre später kam es vor, dass man ihr als Frau die Arbeit am Bau nicht zutraute. Laudator Köbi Gantenbein spricht Klartext, wenn er in seiner Rede auf die damaligen «Herren Kollegen» zurückblickt, die «hauen und stechen, weil du, quirlige Frau mit pinken Schuhen und kräftigem Churer Dialekt, mit einem starken Entwurf auftauchst.» An der Kulturpreisübergabe schmunzelt Tilla Theus über diese blumige Formulierung. Doch sie birgt mehr Wahrheit, als man glauben möchte: Als die Architektin bereits ein Büro mit einem Dutzend Mitarbeitenden führte, setzte sie sich bei einem renommierten Wettbewerb gegen einen Berufskollegen durch. «Er liess mich zu sich kommen, war flan- «Mein beruflicher Weg war viel härter, als ich ihn mir je vorgestellt hätte.»

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