Zenit Nr. 2, Juni 2022

Sie ist die wohl bekannteste Mäzenin der Schweiz und hat sich in ihrem Leben für Gleichberechtigung, Kultur, Antirassismus, Frauenrechte, Elternhilfe und vieles mehr engagiert. Dabei könnte es sich Ellen Ringier, die aus einer wohlhabenden Familie stammt, einfach machen. Aber davon will die gebürtige Luzernerin auch mit 70 Jahren nichts wissen. VON ROBERT BOSSART Mit ein paar Minuten Verspätung treffen wir im Ringier-Pressegebäude ein. Bepackt mit ein paar Taschen und eine Entschuldigung murmelnd – eine wichtige Sitzung habe sie aufgehalten –, fährt Ellen Ringier mit dem Schreibenden schliesslich zur Dachterrasse hinauf. Mit der Frühlingssonne im Gesicht und mit Blick über die Dächer Zürichs: So soll das Gespräch stattfinden. Zwischendurch ein, zwei Telefonate und die Frage, wie lange das Gespräch dauern soll. «Mehr als eine Stunde brauchen wir sicher nicht, dann habe ich alles erzählt, was mein Leben hergibt», sagt sie und lacht. Am Schluss dauert es doch etwas länger. Denn Ellen Ringier hat viel zu erzählen, sehr viel. Aufgewachsen ist sie zusammen mit zwei Schwestern in Luzern, ihr Vater war Kaufmann und Kunstsammler, ihre Mutter stammte aus einer Londoner Bankiersfamilie. 1976 heiratete sie den Verleger Michael Ringier, ihr Jurastudium schloss sie 1980 mit dem Doktorexamen ab. Gerade wegen dieses privilegierten Hintergrunds empfinde sie es als eine Verpflichtung, ihre Begabungen und Möglichkeiten in den Dienst anderer zu stellen, betont sie. Eine Zeitschrift schrieb einmal über sie: «Ihre Zeit investiert sie nicht in Maniküre oder Sitzungen beim Personal-Trainer, sondern in die Verbesserung der Welt.» Tatsächlich engagiert sich Ellen Ringier ehrenamtlich seit Jahrzehnten für verschiedene kulturelle und soziale Organisationen und Aufgaben. Woher kommt dieser Antrieb? Ellen Ringier betont sogleich, dass dies sehr viel mit ihrer Familiengeschichte und ihrer Erziehung zu tun habe. «Ich bin nicht religiös aufgeFotos: Raphael Hünerfauth «Helfen gehört zu meinem Leben» wachsen, dennoch habe ich mich als ungefähr Zwölfjährige gefragt, was Gott sich wohl wünscht, was ich mit meinem Leben machen soll.» Und da sie in dieser Zeit in der Pfadi war, habe sie gedacht, Gott wolle, dass sie jeden Tag eine gute Tat vollbringe. «Jahrelang habe ich jeden Abend vor dem Einschlafen gedacht: Welche gute Tat hast du heute gemacht und welche könnte es morgen sein?» Zudem erhielt sie von ihrem Grossvater in dieser Zeit eine gewisse Summe Geld. «Der Hintergedanke war, dass ich damit nicht von Männern abhängig sein müsse. Das war damals unglaublich fortschrittlich, zudem sagte er: ‹All life is about is to give other people a chance, im Leben geht es darum, anderen Menschen eine Chance zu geben.› Darüber haben wir viel und intensiv diskutiert.» Und so machte sich Ellen Ringier zusammen mit ihren zwei Schwestern bereits als Teenager viele Gedanken über ihre Zukunft. Sie fragte sich, ob es darum gehe, möglichst viele Handtaschen und Autos zu besitzen. «Oder wollen wir einen Beitrag an die Gesellschaft leisten? Und so dachten wir alle, dass wir das Glück, in einer gutbürgerlichen Familie aufzuwachsen – mit der wir viel gereist sind und vieles kennenlernen durften – nutzen sollten, um etwas davon an die Gesellschaft zurückzugeben.» Dieses Bewusstsein, als privilegierter Mensch gegenüber der Gesellschaft eine Verantwortung zu haben, hat sie bereits als junger Mensch geprägt. «Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mir das letzte Mal die Nägel lackiert habe. Ich weiss auch nicht, wie lange meine letzten Kopfschmerzen zurückliegen.» Sie habe es von Anfang an abgelehnt, ein Leben zu 4 Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 22 IM ZENIT «Im Leben geht es darum, anderen Menschen eine Chance zu geben.»

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