Zenit Nr. 2, Juni 2019

42 Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 19 von Walter Steffen* Immerhin, für intelligente Mädchen gab es Schlupflöcher, zumindest in der Stadt. Dass die Lehrerinnenausbildung seit 1885 allein imKloster Baldegg möglich war, gefiel den Luzerner Liberalen nicht. Auch das seit 1868 in Hitzkirch existierende Kantonale Lehrerseminar galt ihnen als konservative Hochburg. Der von Liberalen und Sozial- demokraten dominierte Stadtrat entschied sich daher 1905 für eine «kostengünstige Aufstockung» der 3. Mäd- chen-Sekundarklassen. Sie wurden um zwei, später drei weitere Jahre ergänzt. Um die Konservativen nicht unnötig zu reizen, nannte man dies «Obere Töchterschule», doch de facto war damit das Städtische Lehrerseminar gegründet, denn schon 1906 wurden hier auch Knaben aufgenommen. Aufgrund des Lehrermangels wurde dieses eigenmächtige Vorgehen von der konservativen Kantonsregierung tole- riert. Schon 1907 (nach zweijähriger Intensivausbildung) traten die ersten elf Luzernerinnen in Hitzkirch zur Prüfung fürs kantonale Lehrerpatent an. Obwohl sie von ihnen fremden Professoren geprüft wurden (dies blieb so bis 1966), bestanden alle. Von den Lehrerinnen wurde erwartet, dass sie unver- heiratet blieben. Die Vollziehungsverordnung zum Erzie- hungsgesetz von 1910 bestimmte: «Verheiratete Lehrerin- nen kann der Erziehungsrat zum Rücktritt veranlassen, respektive nötigenfalls auch ohne solchen entlassen, und zwar ohne dass sie einen Anspruch auf Entschädigung haben.» Die «Kann-Formel» liess den verheirateten Frauen die Türe zwar noch etwas offen – aber nur in Zeiten des Lehrerinnenmangels. Es dauerte noch 70 Jahre, bis diese Diskriminierung aufgehoben wurde. Der steinige Weg zur «Mädchen-Matura» 1893 öffneten sich die Berner Gymnasien für Mädchen. Im Jahre 1900 geschah dies auch inWinterthur, Solothurn und Zug. Sogar die Mittelschule Willisau nahm Mädchen auf, jedoch ohne sie zur Matura zu führen. Die Kantons- schule Luzern brauchte für diesen Schritt 62 Jahre länger. Immerhin gab es «Schleichwege»: Mädchen, die eine Matura anstrebten, durften schon um 1910 an «nütz- licher Kulturarbeit nippen», d. h., sie besuchten nach- mittags die allgemeinbildenden Fächer am Städtischen Seminar Musegg. Ab 1919 wurde diesen «nippenden Fräuleins» eine gymnasiale Ausbildung bis zum Lyceum (die letzten zwei Jahre bis zur Matura) geboten. Dieses Städtische Töchter- gymnasium war integriert am Seminar. «Unsere Gymi- klasse bestand aus sieben Mädchen, und fürs Lyceum mussten wir an die Kanti», erzählt die Ärztin Maria Schaller (*1925). «An die Maturaprüfungen erinnere ich mich bestens. Sie begannen am 6. Juni 1944, am D-Day, als die Alliierten in der Normandie landeten.» An den kantonalen Mittelschulen Sursee und Bero- münster waren Mädchen noch bis weit in die 1950er- Jahre undenkbar. Es brauchte viel Mut, diese Männer- bastion zu stürmen. Anne-Marie Gmür-Beck (*1941) und Irene Küng gelang der Eintritt ins Progymnasium Sursee bereits 1954. Anne-Maries Mutter hatte ihre Tochter schon immer zum Studium ermuntert, und ihr Vater, Präsident der Aufsichtskommission des Gymnasi- ums, scheute keinen Aufwand, sie ans Gymi zu bringen – selbst gegen heftigen Widerstand von einigen Lehrern. «Wir wurden scharf beobachtet», meint Anne-Marie Diese unerhörte Frage stellte man sich noch 1962 in Luzern, als erstmals Mädchen an die erste Klasse der Kantonsschule zugelassen wurden. Die Matura für Mädchen galt damals als reine Geldverschwendung: «Die heiraten ohnehin bald», hiess es. * Dr. phil. Walter Steffen ist Historiker. Geboren 1945 in Luzern, Städtisches Lehrerseminar und Studien in Zürich und Bologna. 30 Jahre Lehrer für Geschichte, Italienisch und Englisch an den Lehrerseminarien Luzern und Hitzkirch. Seit der Pensionierung ist er Reiseleiter für Italien. «Gehören Mädchen an die Kanti?»

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