Zenit Nr. 1. März 2024

Als Frau in einer von Männern dominierten Forschungsrichtung hatte sie lange einen schweren Stand. Heute ist Kathrin Altwegg die bekannteste Weltraumforscherin der Schweiz. Die 72-Jährige ist zwar wenig optimistisch, was den Fortbestand der Spezies Mensch betrifft. Dennoch zeigt sie sich mit ihrem Leben zufrieden, nicht zuletzt, weil die Physik ihr eine Portion Gelassenheit verleiht. VON ROBERT BOSSART Der Mensch sei nur eine Fussnote der Geschichte. Wenn es ihn einmal nicht mehr gebe, werde das Universum friedlich weitermachen. Solche Aussagen hört, wer ein Referat von Kathrin Altwegg mitverfolgt. Die 72-jährige emeritierte Professorin der Universität Bern stand letztes Jahr fast wöchentlich an irgendeinem Rednerinnenpult. Wenn sie über Physik und das Universum spricht, gibt sie den Zuhörenden das Gefühl, dass die komplexe Materie einfach verständlich ist. Und witzig. Auf die Frage, was vor dem Urknall war, antwortet sie: «Gott schuf zuerst die Hölle für Leute, die solche Frage stellen.» Eine Frage, die falsch sei, da vor dem Urknall kein Raum und keine Zeit vorhanden war. Also auch kein «vorher». Die Astrophysik hilft ihr auch beim Älterwerden. «Ich weiss, dass es irgendwann fertig ist mit mir. Die Frage, was nachher ist, nehme ich durch mein Fachgebiet relativ gelassen. Ich bin aus Sternenstaub und werde es wieder.» Die Physik hilft ihr, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. «Wir sind nur winzig kleine Teile des Ganzen. Aber immerhin gehören wir dazu.» Wie das mit dem «Ganzen» ist und welche Rolle wir auf der Erde dabei spielen, interessierte Kathrin Altwegg ihr ganzes Leben lang. So richtig spannend wurde es, als sie 1996 Projektleiterin von «Rosina» wurde. Zusammen mit einem 20-köpfigen Team an der Universität Bern baute sie einen Massenspektrometer, der an Bord der ESA-Raum4 Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 24 IM ZENIT Fotos: Raphael Hünerfauth «Ich bin aus Sternenstaub und werde es wieder» sonde «Rosetta» Daten des Kometen Churyumov-Gerasimenko sammeln sollte. Es folgten zehn Jahre Bau- und eine ebenso lange Flugzeit. 2014 erreichte das Flugobjekt der Europäischen Weltraumorganisation sein Ziel und die Spannung war riesengross: Konnte Rosina nach jahrelangem Tiefschlaf wieder zum Leben erweckt werden? Kathrin Altwegg schmunzelt. «Wir wussten wirklich nicht, ob unser Plan funktionieren wird.» Das mediale Interesse an der Mission und an ihr als Person waren gross, «Schweiz aktuell» sendete live aus der Universität. «Aber Rosina machte keinen Pieps», erinnert sie sich. «Das wäre eine herbe Enttäuschung gewesen – 20 Jahre Arbeit für nichts.» Es kam bekanntlich anders. Kurz vor dem Ende der Sendung erreichte die Erde ein Signal aus dem All. «Rosina machte es maximal spannend.» Die Freude bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern war riesig und die Jubelbilder verbreiteten sich in der breiten Öffentlichkeit. «Das waren für uns alle überwältigende Emotionen, als wir begriffen, dass wir nun tatsächlich unsere Messungen auf dem Kometen durchführen konnten.» Zwei Jahre dauerte die Mission, eine spannende, aber auch intensive Zeit. Kathrin Altwegg erinnert sich, wie sie damals mit einem 75-Prozent-Pensum mindestens 120 Prozent gearbeitet hat. «Dem Kometen war es egal, ob gerade Weihnachten oder Ostern sind, und so mussten wir natürlich rund um die Uhr, sieben Tage die Woche präsent

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