Zenit Nr. 1, März 2022

Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 22 17 MARIA KOCH SCHILDKNECHT (72), LUZERN Hilfe annehmen braucht Mut «Ich war mein ganzes Leben lang berufstätig. Als ich mit 64 in Pension ging, freute ich mich darauf, Zeit für meine Ideen zu haben. Doch da hat sich die Demenzerkrankung meines 13 Jahre älteren Mannes bereits abgezeichnet. Heute ist eine vollumfängliche Betreuung nötig. Ich begleite, unterstütze, pflege, rege an, plane, organisiere ... Was mir am meisten Mühe bereitet: Wir können unsere Erinnerungen nicht mehr teilen. Das macht das Leben so furchtbar einsam. Aber auch der Alltag ist anspruchsvoll. Es kommt vor, dass sich mein Mann zurück im Beruf wähnt und den starken Drang verspürt, etwas zu organisieren oder zu kontrollieren. Selbst für mich als Fachfrau – ich leitete die Stiftung «Der rote Faden», die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen unterstützt – sind solche Situationen schwierig zu handhaben. Denn in diesem Moment ist mein Mann wirklich verzweifelt. Das A und O ist, Entlastung anzunehmen. Seit knapp zwei Jahren unterstützt die Spitex meinen Mann morgens und abends in der Körperpflege. Das entlastet auch unsere Beziehung, weil ich so nicht ausschliesslich die Rolle der Betreuerin übernehme und er nicht nur der Hilfebezüger ist. Zudem verbringt mein Mann jeden Monat rund zehn Ferientage auf dem Hof Rickenbach, einer Einrichtung für Demenzbetroffene. Die Ferien tun meinem Mann gut, oft ist er danach lebhafter und spricht wieder mehr. Auch ich selber brauche diese Zeit. Eine Bergtour unternehmen, ein längeres Telefonat führen, Freundinnen treffen oder im Treppenhaus einen Schwatz halten, ohne dass mein Mann nach mir ruft – all das ist wichtig für mich. In meinen beruflichen Beratungen erklärten Angehörige immer wieder, der Erkrankte akzeptiere keine Hilfe von aussen. Auch mein Mann ist eher dominant. Vor jedem Ferienaufenthalt äussert er Bedenken und sagt, er kenne den Hof Rickenbach ja gar nicht. Dann sage ich mit Überzeugung, doch, dort gefällt es dir und das tun wir. Manchmal kämpfe ich mit einem schlechten Gewissen. Doch eigentlich weiss ich, ohne Ferien-Auszeit könnte ich ihn nicht so betreuen, wie ich es jetzt kann.» BOA PERSÖNLICHKEITEN

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx