Zenit Nr. 1, März 2022

14 Pro Senectute Kanton Luzern 1 | 22 PERSÖNLICHKEITEN Wenn ein Familienmitglied erkrankt und auf Unterstützung angewiesen ist, dann übernehmen oft die Ehefrauen oder Ehemänner, manchmal auch die Töchter oder Söhne deren Betreuung. Zenit zeigt anhand von sechs Porträts, welche Herausforderungen die Betroffenen meistern müssen. TEXTE UND BILDER: ASTRID BOSSERT MEIER (BOA) UND ROBERT BOSSART (RB) «Es war kurz vor unserer Hochzeit, als meine Mutter den Hirnschlag erlitt. Ich hatte gerade den Hof übernommen, und wir bauten einen Anbau ans alte Bauernhaus. Meine Mutter verbrachte zuerst sechs Monate im Spital und in der Reha. Zusammen mit meinen fünf Schwestern und meinem Vater beschlossen wir, sie gemeinsam zu Hause zu pflegen. Entscheiden war das eine, aber es dann 14 Jahre lang durchziehen? Man kann sich das vorher nicht vorstellen. Aber ich möchte es nicht missen, trotz allem. Am Anfang dachten wir, das Ganze dauert vielleicht ein, zwei Jahre. Meine Mutter war auf der linken Seite gelähmt, zudem hatte sie von einer früheren Erkrankung her am rechten Bein ein steifes Knie. Sie war im Rollstuhl und benötigte viel Pflege, konnte nicht selber essen, brauchte Hilfe für die Toilette, beim Aus- und Anziehen und für die ganze Körperpflege. Zuerst dachten wir, es ginge ohne Spitex, aber bald merkten wir, dass wir es nicht allein schaffen. Meine Schwestern wechselten sich ab, so war immer eine SEPP INEICHEN (54), ALTWIS «Wir haben nicht gewusst, was auf uns zukommt» Zwischen Hingabe und Überforderung am Mittag und am Abend bei den Eltern. Ich ging vor dem Stall zu ihr, brachte ihr den Topf, später wechselte ich Windeln, schliesslich hatte sie einen Katheter. Nach ein paar Jahren war auch mein Vater auf Hilfe angewiesen. Es war die Zeit, als unsere drei Kinder klein waren und ich mit dem Hof viel zu tun hatte. Kaum waren unsere Kleinen ruhig amAbend, klopfte mein Vater, weil er oder meine Mutter etwas brauchte. Da ich gleich nebenan wohnte, ging ich oft bei ihnen vorbei. Klar, es hing viel an mir. Aber die Zusammenarbeit war gut mit meinen Schwestern, dem Hausarzt, der Spitex und der Physio. Wie viele Stunden ich aufgewendet habe, weiss ich nicht mehr. Zum Glück war meine Mutter stets sehr dankbar für unsere Hilfe. Sie hat alles bei vollem Bewusstsein miterlebt. Sie war nicht ein einziges Mal ungeduldig oder aggressiv. Ich habe viele Dankeschöns von ihr erhalten. Das machte es einfacher. Wichtig war auch, dass meine Frau diese Situation akzeptierte, mich auch unterstützte und Verständnis hatte. Ich war mit den Milchkühen ohnehin schon ziemlich angebunden, die Pflegesituation kam noch hinzu, sodass Ferien und längere Abwesenheiten nicht gross drin lagen. Aber wir hatten immer einen guten Zusammenhalt in der Familie, das war entscheidend und wertvoll. Das hat für vieles entschädigt, und es hat mir die nötige Kraft gegeben. Ich war immer da und damit so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt, die Ansprechperson für Behörden, Arzt etc. Positiv war, dass jeden Tag eine meiner Schwestern hier war, das schätzten auch meine Kinder. Beide Eltern sind zu Hause gestorben und ich durfte dabei sein. Meine Mutter starb 2009. Eine wichtige Erfahrung für mich. Diese Zeit hat mir einen anderen Blick aufs Leben gegeben. Man wird bescheidener, man lernt das Leben schätzen, denke ich. Aber es war auch hart und hat viel von mir und uns abverlangt – viel Präsenzzeit und viel Verantwortung.» RB

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