KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2023

FÜR SIE GESEHEN 03 / 2023 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 46 Du gehst nicht allein (Originaltitel: «Temple Grandin») ist ein mehrfach ausgezeichneter US-amerikanischer Fernsehfilm aus dem Jahre 2010. Er thematisiert das Leben und vor allem die Schul- und Studienzeit von Temple Grandin, einem autistischen Mädchen, welches – allen Schwierigkeiten zum Trotz – zu einer anerkannten Spezialistin in Veterinärmedizin und Verfechterin der Sicht des Tiers in der amerikanischen Fleischindustrie wird. Die junge Temple Grandin wird in den 1950er-Jahren mit Autismus diagnostiziert, da sie weder körperliche Nähe erträgt, Schwierigkeiten mit sozialen Interaktionen hat und mit ihrem fotografischen Gedächtnis ihre Umgebung ausschliesslich in Bildern wahrnimmt. Der Film zeigt die schlimmen Vorwürfe, die damals von Psychiatern spezifisch in Bezug auf Mütter von autistischen Kindern formuliert wurden und wie vernichtend ärztliche Be- oder besser Verurteilungen damals auf Erkrankte und deren Familie wirkten. Die Mutter lässt sich aber nicht beirren, und der Film zeigt ihren verständnisvollen, aber auch zielgerichteten Umgang mit Temple und deren Weg durch die Schule und College. AUTOR DR. MED. RAFFAEL GUGGENHEIM MITGLIED REDAKTIONSKOMMISSION, ZÜRICH Korrespondenzadresse: dokter@bluewin.ch Temple Grandin: «Du gehst nicht allein» Filmtipp zum Thema Autismus Eindrücklich die Bilder, wie Temple erkennt, wie sie sich beruhigen kann und eine entsprechende Maschine baut. Diese Erkenntnis wird sie auch später in der Veterinärwissenschaft umsetzen können. Sie fürchtet die Hochschule aufgrund der vielen unbekannten Menschen, und es kommt durch das Unverständnis für ihre Krankheit zu Konfrontationen mit ihren Kommilitonen und Professoren. Schon früh hat sie einen speziellen Bezug zu Tieren und kann das tierische Erleben der Welt ganz anders wahrnehmen als ihre Umwelt. Weil sie komplexe Verknüpfungen bilden und durch intensive Beobachtungen das Verhalten von Tieren verstehen und sich in diese hineinversetzen kann, wird Temple Grandin allen Widerständen der Rancher zum Trotz zur untypischen Heldin der amerikanischen Rinder- industrie – sie erreicht, dass Tiere angstfreier aufgezogen und auch ohne Angst «human» geschlachtet werden können. Dennoch bleibt sie für Tierschützer eine unverstandene Person, da sie sich trotz ihrem Verständnis für das Tierwohl und Tiererleben klar für die «meat industry» einsetzt. Der Film zeigt ihren Lebensweg und ihr Engagement für Autismus-betroffene Menschen. Nicht von ungefähr endet der Film mit dem unerwarteten Vortrag Temples an einer der ersten Autismuskonferenzen, wo sie die Sicht der Betroffenen treffend schildert, was Zuschauer im Saal und am Bildschirm sichtlich berührt. Temple Grandin hat ihr autistisches Verständnis der Welt in vielen Büchern (ihr Standardwerk: Visual Thinking) und sehr gut auf ihrer Website www.templegrandin.com zusammengestellt. Eine weitere Website www.grandin.com ist ihrer wissenschaftlichen Arbeit zum Tiererleben gewidmet. Der Film ist äusserst sehenswert und kann von diversen Streamingdiensten heruntergeladen werden. ■ www.templegrandin.com www.grandin.com Foto: Steve Jurvetson (Wikimedia Commons)

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