KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2023

03 / 2023 ERFAHRUNGSBERICHT KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 43 Am Morgen des 3. März 2023 trafen sich 25 Niedergelassene aus der ganzen Deutschschweiz in Zürich, um sich mit verschiedenen für die Arbeit in der Kinderarztpraxis relevanten Aspekten des AutismusSpektrums zu beschäftigen. Nach einer Stärkung bei Kaffee und Gipfeli erfuhren wir in einer kurzen Einführung durch Sara Klingenfuss und Sandra Kamm Jehli, dass die Eltern der betroffenen Kinder zwar einen Wissenszuwachs zum Thema ASS bei uns Kinder- und Hausärzten feststellen, aber doch noch viel Luft nach oben ist. Im Anschluss gab uns Matthias Huber, Psychologe in Bern und selbst im Autismus-Spektrum liegend, einen kleinen, aber extrem eindrücklichen Einblick in das Erleben eines ASS-Betroffenen: Dass er seinen Kollegen, mit dem er morgens zum Kindergarten lief, nicht mehr wahrnehmen konnte, sobald sie den Kindergarten betreten hatten, da der Kollege «im Knäuel der Kinder» unterging; dass auch Lob für spezielle Leistungen ihn als Kind völlig überforderte, da er so in seiner Innenwelt weilte, dass es für ihn komplett unerwartet war, wenn er angesprochen wurde, und er auch seine Leistung nicht als etwas Besonderes wahrnehmen konnte, da er keinerlei Vergleich mit anderen Kindern hatte. Aus seiner eigenen Erfahrung konnte er uns auch einige gute Tipps zum Umgang mit Personen im Autismus-Spektrum geben, z. B. dass es für sie hilfreich ist, wenn alle vorgesehenen Handlungen beschrieben und Absprachen genau eingehalten werden, da die betreffenden Kinder und Jugendlichen diese als wörtlich verbindlich betrachten. Nach einer Kaffeepause brachte uns Gudrun Seeger, Leiterin der Autismus-Sprechstunde an der PsychiatriDR. MED. CHRISTIANE BERGER FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, SALEZ Korrespondenzadresse: Christiane.Berger@kispisg.ch Autismus-Spektrum-Störung – komplex, spannend, herausfordernd… schen Uniklinik Zürich, einige grundlegende Informationen zum Autismus näher, zeigte uns Red Flags in der Entwicklung auf, welche auf Autismus hinweisen können, und gab uns einen Einblick in die Intensive Frühförderung, welche z. B. in Zürich im Rahmen des FIVTI- Programms (frühe intensive verhaltenstherapeutische Intervention) geleistet wird. Wie wichtig diese Früh- intervention ist, konnte sie uns anhand der teils beeindruckenden Fortschritte der betreuten Kinder aufzeigen, die oftmals im Anschluss einen Regelkindergarten besuchen können. Am Folgetag bekamen wir von Caroline Brugger, Juristin und Mutter einer Tochter mit Typ-1-Diabetes sowie ehemaliges Mitglied des Vorstands von Swiss Diabetes Kids, Einblicke in den Umgang mit Versicherungen. Sie machte sie uns auf Fallstricke z. B. beim Beantragen von Hilflosenentschädigung aufmerksam und empfahl uns eindringlich, den Familien eine gute Vorbereitung und Begleitung durch eine juristisch geschulte Person oder Organisation wie z. B. ProCap nahezulegen, um Fallstricke und Frustrationen möglichst zu vermeiden. Der Sachverhalt hinsichtlich Hilflosigkeit muss für jeden Fall separat von der Verwaltung abgeklärt werden. Da die Einschränkungen bei ASS-Betroffenen nicht offensichtlich sind, müssen diese ausführlich beschrieben und belegt werden. Dabei ist den betroffenen Eltern häufig gar nicht klar, was sie täglich leisten, sodass sie gewisse Hilfeleistungen von sich aus nicht erwähnen. Im Anschluss berichtete Ronnie Gundelfinger über psychiatrische Begleiterkrankungen und welche medikamentösen Therapien sich bei verschiedenen Begleit- symptomen bewährt haben. Am Samstagnachmittag konnten wird Einblick gewinnen, wie Ergotherapie, Logopädie und Autismusberatung gemeinsam mit der betreuenden Kinderärztin in der Ostschweiz, wo kein Autismus-Therapiezentrum erreichbar ist, durch Autismus schwer eingeschränkte Kinder auf einen Eintritt ins Schulsystem vorbereiten. Ergänzend bestand während der beiden Kurstage die Möglichkeit, in einer fast unendlichen Auswahl an Büchern zum Thema zu schmökern und Infomaterial und Fragebögen einmal direkt zu sichten. Zudem ergaben sich viele interessante Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen über Autismus und anderes. Insgesamt war es eine sehr informative und bereichernde Fortbildung, aus der alle etwas für den Praxisalltag mitnehmen konnten. Vielen Dank an Sara Klingenfuss und Sandra Kamm Jehli für die tolle Organisation trotz einiger kurzfristiger Änderungen durch Absagen von Referenten. ■ Fotos/Illustration: Sandra Kamm Jehli

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx