KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2023

01 / 2023 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 47 Heilpädagogik Ganz früh wurden wir mit Janis bei der heilpädagogischen Frühberatung angebunden. Ich kann mich gut an den ersten Besuch von Elisabeth Handschin erinnern. Sie war uns eine ganz tolle Stütze im Umgang mit Trisomie. Ein Treffen der Trisomie-21 Gruppe ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Damals war unser Sohn ein paar Monate alt, konnte eigentlich nur liegen und ein bisschen herumschauen, nichts von Sitzen, nichts von Drehen. Wir fragten uns sogar, ob er jemals würde gehen können. Dann der grosse Moment: Wir klingeln an der Tür des Treffs. Krach, Geschrei, die Tür öffnet sich. Es kommen aber nicht wie erwartet Erwachsene entgegen. Ein Haufen Kinder mit Trisomie-21 wuseln um uns herum, umarmen uns und Janis – wir sind angekommen. Und nebenbei: Kinder mit Trisomie-21 können ja doch laufen … (der Kopf weiss es ja – aber dem Herzen tut es gut, das auch zu sehen). Schule / Integration Ein grosses Thema, immer wieder diskutiert. Damals gehörte es zum guten Ton, dafür zu kämpfen, dass Kinder mit Trisomie-21 integriert werden. Aber es war schwierig, nur wenige Lehrpersonen waren dazu bereit. Es war immer ein Kampf! Dies hat sich mittlerweile geändert. Heute gehört es nicht nur zum guten Ton – die Integration ist eine Selbstverständlichkeit. Unser Janis war von der Entwicklung her aber leider nicht so weit, dass eine Integration im Regelkindergarten überhaupt diskutiert worden wäre, er kam in die heilpädagogische Schule (Michael Schule). Und hier beobachtete ich eine Situation, die mir geblieben ist. Janis war irgendwo in der 2. / 3. Klasse, und ich holte ihn von der Schule ab. Die Glocke läutete, die Kinder kamen auf den Vorplatz. Es kam mir so vor, wie wenn die Kinder plötzlich aus allen Ecken auftauchen würden. Innert Sekunden war der Platz voll. Ganz viele Kinder mit ganz vielen unterschiedlichen Einschränkungen. Und darunter drei Kinder mit Trisomie-21. Sie haben sich magisch angezogen, sind aufeinander zugegangen und haben miteinander gespielt. Das Chaos rundherum hat sie nicht beschäftigt. Sie gehörten zusammen. Dieses Bild ist mir noch lange nachgegangen. Wenn ich mich an meine eigene Pubertät zurückbesinne: Was war mir wichtig? Ich wollte dazugehören, zu meinen Peers. Nun ein paar kritische Fragen zur Integration: Gehören die integrierten Kinder mit Trisomie-21 wirklich dazu? Im Kindergarten und in den ersten Schuljahren wahrscheinlich schon. Später ist es sehr abhängig von den kognitiven und sozialen Kompetenzen. Wir alle wünschen uns Kinder mit möglichst normalen sprachlichen und psychomotorischen Kompetenzen – leider ist das bei Trisomie-21 aber nicht der Fall. Und noch ein Thema, das in den Medienberichten meiner Meinung nach stets zu kurz kommt: Immer wieder hört und liest man über Menschen mit Trisomie-21, die studieren etc. Das ist schön, widerspiegelt aber meiner Meinung nach nicht die Realität. Es gibt ein paar wenige, die wirklich gut sind (whs. Mosaikformen) und ein «normales» Leben führen können. Aber das sind nur ein paar, der ganz grosse Rest ist nicht so gut. Bleibt auf der Strecke. Und als Elternteil hat man beim Lesen dieser Berichte über Ausnahmekapazitäten ein schlechtes Gefühl und überlegt, ob man nicht gut genug gefördert hat. Als Arzt habe ich leider mehrmals erlebt, dass, wenn die Kinder in die höheren Klassen gekommen sind, sie zwar noch getragen, aber nicht mehr «dabei» waren. Die Schere geht leider auf, v. a. wenn die Pubertät kommt und die anderen davonziehen. Die Frage, ob das Kind mit Trisomie-21 noch eingeladen wird zu Geburtstagsfesten, wird dann leider immer wieder verneint … Auf dem Spielplatz muss die Mutter oft mit dabei sein, sonst geht es nicht. Was ist denn Integration? Wenn ich wünschen könnte, würde ich mir jahrgangsüberschreitende Trisomie21-Klassen wünschen. Dann wären sie «dabei», würden eine eigene Peer gründen. Ich merke, ich könnte noch stundenlang schreiben, aber wahrscheinlich sprengt dies den Rahmen. Allenfalls später mehr … Ich möchte noch betonen, dass das hier Geschriebene meine ganz persönliche Meinung ist, auf der Basis dessen, was ich selbst erlebt habe. Ich möchte niemandem zu nahe treten und akzeptiere natürlich voll und ganz auch andere Ansichten. ■

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