KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2023

FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL 01 / 2023 KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 46 Geburt Wir waren beide 30 Jahre alt und freuten uns sehr auf unser zweites Kind. Natürlich führten wir die üblichen Schwangerschaftskontrollen durch, weitere spezifische Abklärungen wie heute möglich (NIBT, also nichtinvasive Bluttests) gab es nicht – wir waren noch «zu jung». Umso schwieriger die Situation nach der Geburt. Mir fielen sofort die Kopfform und der schlappe Tonus auf. Ich wurde aber vertröstet, der Kinderarzt würde am nächsten Tag schauen. Was für eine Nacht! Ich glaube, die schlimmste Nacht meines Lebens. Denn für mich war klar: Mein Sohn hat eine Trisomie-21. Am nächsten Tag wurde dies von Dr. Urs Fehlmann auch bestätigt. Hier ein Dank an Urs für seine einfühlende Art und die gute Betreuung über viele Jahre – er hat mich immer inspiriert und war ein Vorbild. In dieser Nacht gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Warum? Warum wir? Womit hatten wir das verdient? Alles drehte sich im Kreis. Dennoch hat mir die schwierige Situation etwas sehr Wertvolles gebracht. Nach vielen schlaflosen Stunden kam ich zu einer Einstellung, die mir im Leben viel geholfen hat: Hast du ein Problem, frag dich, ob du etwas ändern kannst. Falls ja – setze deine ganze Energie dazu ein. Falls nein – akzeptiere es und mach das Beste daraus! Vergeude die Energie nicht am falschen Ort! Als Kinderarzt habe ich mehrfach miterlebt, wie schwierig es für Eltern ist, die Situation mit einem behinderten Kind zu akzeptieren. Zum Glück gibt es heute gute Unterstützung. Wenn ich mir überlege, wie das Management heute bereits im Spital festgelegt wird, die Folgekontrollen organisiert werden und es an vielen Orten Bestrebungen gibt, eigene Down-Ambulanzen zu bilden, erleichtert dies das Leben sehr. Säuglingszeit Nach den ersten Tagen des Schocks auf der einen Seite und der Freude, ein neues Leben begleiten zu können (wir hatten uns schon zu dieser Einstellung durchgekämpft), kam der nächste Schock: die Diagnose Herzfehler! Wenn es kommt, dann kommt es knüppeldick … DR. MED. CARLOS LORCA FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, PRAXISPÄDIATER IN WINTERTHUR Korrespondenzadresse: carlos.lorca@hin.ch Als This Furter mich fragte, ob ich als Vater eines Jungen mit Trisomie-21 einen Erfahrungsbericht schreiben würde, sagte ich in meiner spontanen Art natürlich sofort zu, und es schwirrten mir hunderte Gedanken und Ideen zum Inhalt durch den Kopf. Mein Sohn Janis ist mittlerweile knapp 28 Jahre alt. Wir haben viel erlebt, aber der Reihe nach. Trisomie-21 – ein Erfahrungsbericht Dennoch – es war die schönste Säuglingszeit. Ich sass mit meinem gelben Janis am Fenster und durfte ihn begleiten. Ein Dank an meine Kollegen der Chirurgie des Kantonsspitals Winterthur unter Marco Decurtins, welche mir die Nachtdienste ohne zu zögern abgenommen haben. Herzfehler Leider hatte Janis einen dieser Herzfehler, die nicht spontan verheilen (AV-Kanal), das heisst, eine Operation war notwendig. Bei sehr knapper Gewichtszunahme erfolgte schlussendlich mit ca. sechs Monaten die operative Korrektur. Schwierige Zeit, belastende Zeit. Dennoch: Zum Glück können und werden solche Operationen heute durchgeführt. Einige Jahre zuvor wurde dies nämlich noch nicht gemacht. Man war der Ansicht, es lohne sich nicht … Bei dieser Aussage stellten sich mir die Nackenhaare auf. Welches Leben ist lebenswert? Welches Leben lohnt sich? Wer entscheidet? Aus unserer Sicht ist ein Leben mit Trisomie-21 ganz klar lebenswert! Janis ist fröhlich, lebt in den Tag hinein, gibt einem ganz viel Wärme und Freude! Ich darf behaupten, er hat uns geerdet. Sensibilisiert für die wirklichen Probleme des Alltags. Die Operation verlief leider nicht gut. Sepsis (Blutvergiftung), Reanimation, wochenlang IPS (Intensivstation). Aber schlussendlich konnten wir ihn nach sieben Wochen nach Hause nehmen. Ach, wie herrlich war das. Fotos: Familie Lorca

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