KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2023

01 / 2023 FORTBILDUNG: THEMENHEFTTEIL KINDERÄRZTE. SCHWEIZ 35 Es ist jedoch wichtig, dass spezielle Angebote zwar meistens in der Therapie vermittelt werden, aber dann von allen an der Förderung des Kindes beteiligten Personen sowie von den Eltern alltagsorientiert eingesetzt werden sollten, damit das Kind ihre Bedeutung konkret erleben kann. Zur allgemeinen Sprachförderung der Kinder ist zudem wichtig, dass günstige Bedingungen in Kooperation mit den Eltern gestaltet werden (Buschmann 2020). Auch alle anderen Personen, die therapeutisch und pädagogisch mit dem Kind arbeiten, sollten die jeweils aktuellen Förderziele kennen und möglichst berücksichtigen. Dazu sind entsprechende Absprachen im Team erforderlich. Es ist deshalb bei der Verordnung unterschiedlicher therapeutischer Massnahmen wichtig, dass nicht nur eine Addition erfolgt, sondern eine Koordination gewährleistet ist. Im Rahmen einer interdisziplinären Frühförderung wird das meistens ermöglicht. Zu den allgemein zu beachtenden sprachfördernden Angeboten gehören vor allem handlungsbegleitendes Sprechen und gezielte Wortschatzerweiterung, ein dialogisches und responsives Kommunikationsverhalten, das Stellen von Fragen und Erwarten von Antworten (verbal, mit Gebärden oder mit Zeigen). Auch die Unterstützung von Peerkontakten und von gemeinsamen Aktivitäten in Krippe und Kindergarten ist bedeutsam und sollte gerade in integrativen Einrichtungen reflektiert gestaltet werden (Dott, Licandro 2022). Dem bio-psycho-sozialen Modell der ICF (§2(1) SGB IX) entsprechend, sind auch in der Sprachförderung die Wechselwirkungen zwischen umwelt- und personenbezogenen Faktoren zu berücksichtigen (Kühl 2012). Das gilt es besonders bei zwei- oder mehrsprachig aufwachsenden Kindern zu bedenken (Wilken 2022b). Logopädie und Sprachförderziele bei älteren Kindern mit Down-Syndrom Aufgrund veränderter sprachrelevanter Reifungsprozesse erfolgt bei Kindern ab etwa 7 Jahren ein anderes Lernen von sprachlichen Fähigkeiten. So wichtig responsives Kommunikationsverhalten ist, reicht es jetzt nicht mehr und auch das Hören von Modellsätzen und übliche Satzerweiterungsstrategien allein ermöglichen keine hinreichende sprachliche Förderung in diesem Alter. Hilfreich sind dagegen vor allem strukturierte visuelle Angebote. Mit Bildern und Fotos können einfache Satzgrundmuster vermittelt werden, handlungsbegleitend ist der Wortschatz gezielt zu erweitern, Wortbilder und erstes Lesen können das Lernen von Syntax und Grammatik unterstützen. Eine zunehmende Bedeutung haben auch die verschiedensten technischen Hilfen, da sie die visuellen Stärken der Kinder mit Down-Syndrom aufnehmen und meistens als motivierend erlebt werden (vgl. Wilken 2022a). Auch Übungen zur Verbesserung der Artikulation können durch Visualisierung unterstützt werden, z. B. durch Handzeichen für einzelne Laute. Bei in diesem Alter oft erstmals auftretendem Stottern können handlungsbegleitendes Sprechen und spezielle Förderangebote durchaus hilfreich sein (Rusam 2008). Mit der Pubertät verändern sich die Grundlagen der Sprachlernprozesse nochmals erheblich, auch wenn nicht mehr von einer generellen Plateaubildung ausgegangen wird (Rondal 1999). Es muss aber reflektiert werden, welche offenen Möglichkeiten noch bestehen und welche Therapien dafür geeignet sind. Deshalb ist es wichtig, altersbezogen und an der Lebenswelt des Jugendlichen orientiert realistische Ziele zu formulieren. Auch ist die Frage zu stellen, ob immer, unabhängig vom Lebensalter, eine «normale Sprachkompetenz» zu erreichen versucht werden sollte oder ob auch eine «syndromspezifische Sprache» akzeptiert werden kann. Wenn z. B. ein Jugendlicher sich beklagte und sagte: «Immer noch Logo! Ich immer noch nicht o.k.» sollte das unbedingt dazu führen, dieses subjektive Erleben einer Therapie ernst zu nehmen, denn die Auswirkungen von Therapien auf das Selbstbild und die erlebte Akzeptanz sind oft anders als beabsichtigt. Die Konsequenz ist jedoch nicht, jetzt nichts mehr zu machen, sondern die Lebenswelt des Jugendlichen einzubeziehen und die Bedeutsamkeit der verschiedenen Massnahmen auf ihre Relevanz zu prüfen. So kann die gezielte Wortschatzerweiterung und das Fördern von Kommunikationsstrategien wie das Fragen stellen, das Zuhören und auf Fragen antworten durchaus weiter gelernt werden und ist für Teilhabe und Mitbestimmung von Jugendlichen und Erwachsenen in ihrem Lebensalltag bedeutsam. Das gilt jedoch nicht gleichermassen für Syntax und Grammatik (vgl. Rondal 1999, Wilken 2022a). Einigen Personen mit Down-Syndrom, die sich nicht oder nur unzureichend verbal mitteilen können, sollte die Benutzung von Hilfsmitteln zur alternativen und ergänzende Kommunikation unbedingt vermittelt werden (Wilken 2021). Der Umgang mit diesen technischen Hilfen (Symbolsysteme, Computer, Talker, Tablet) kann altersunabhängig gelernt werden, bedarf aber eines systematischen Übens und der Einbeziehung möglichst aller Bezugspersonen. ■ Beim dialogischen Bilderbuch ansehen gebärdet dieser 3-jährige Junge «Motorrad» und lautiert dabei entsprechend.

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