Zenit Nr. 4, Dezember 2019

14 Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 19 Foto: Peter Lauth Von Werner van Gent Im Drehrestaurant im schicken Norden Teherans schien der Tisch für ein Gala-Dinner angerichtet zu sein: schweres Besteck, Weingläser aus Kristall und eine unglaublich reiche Auswahl an persischen Vorspeisen. Iranische und schweizerische Fähnlein standen neben einer silbernen Schale mit einem Berg aus herrlichen Früchten. In etwa so würde man sich ein Gelage amHofe eines persischen Gross- königs vorstellen. Keine Frage; der Gastgeber, ein bekannter Geschäftsmann, hatte sich grosse Mühe gegeben, seine schweizerischen Gäste ausgiebig zu bewirten. Das Festmahl nahm seinen Lauf, die persische Küche ist berühmt wegen ihrer Vielfalt. Das Gespräch verharrte lange Zeit beim, wie überall im Orient üblich, so wichtigen Aus- tausch von ausschweifenden Freundlichkeiten, die stets im Detail von unseren zwei Übersetzern weitergereicht wur- den. In beiden Richtungen, versteht sich, wobei bald klar wurde, dass wir Schweizer diesbezüglich noch einiges dazu- lernen könnten. Wir gaben uns redlich Mühe. Doch nach- dem eine neue Schale mit herrlichen Fleischgerichten auf- getischt wurde, unterlief mir ein Faux-pas. «Wie schön wäre es, wenn wir diese herrlichen Speisen noch mit einem Glas Syrah hätten ergänzen dürfen.» Bei uns wäre eine solche Bemerkung womöglich als un- angemessene Kritik aufgenommen worden. Der Gastgeber lächelte aber freundlich und sagte: «Dann lade ich Sie alle nach dem Essen zu mir nach Hause ein, dort habe ich einen Keller voll mit den besten Weinen.» Dann tat der iranische Übersetzer etwas, was er nach iranischen Gepflogenheiten nie hätte tun dürfen: Er übersetzte die Einladung des Gast- gebers lautstark. Die schweizerische Gruppe war begeistert. Erst viel später beichtete mir der zweite Übersetzer, dass er kurz darauf mitgehört hatte, wie der Gastgeber seine Frau anrief mit der Bitte, irgendwie irgendeinen Wein für diese Ausländer aufzutreiben. Der Hausbesuch fand statt, der Wein war abscheulich und das Ganze war der Gastgeberin offensichtlich höchst peinlich.Was war schief gelaufen? Ich hatte den Verhaltens- kodex des «Taroof» nicht beachtet, der erste Übersetzer ebenfalls nicht. Demnach hätte ich, ohne dies an die grosse Glocke zu hängen, die freundliche Einladung ebenso freundlich unter Verweis auf alle möglichen Unabdingbar- keiten mindestens drei Mal ablehnen müssen. Leider, leider, unser Zeitplan, das Programm am nächsten Tag, dasWetter, was auch immer. Fadenscheinig sind im Zusammenhang mit dem «Taroof» nur jene Argumente, die nicht mit In- brunst vorgetragen werden. «Taroof» bildet im Verhältnis zwischen Iranern und Schweizern einen unsichtbaren, aber real existierenden Graben.Wie soll man aber Geschäfte machen, wenn «ja» ei- gentlich «nein» heisst und «nein» so nie ausgesprochen wird? Die Globalisierung hat zwar einen amerikanisch ge- prägten Diktus im Geschäftsumgang geschaffen, der aber vorwiegend von den Amerikanern beherrscht und von der übrigen Welt nur nachgeäfft wird. Diese globalisierte Spra- che ist eine Notbrücke, die die Gräben nur augenscheinlich überbrückt. Keine Win-win-Situation Das zeigte sich in Athen, wo ein schweizerischer Geschäfts- mann mich gebeten hatte, ein zukunftsweisendes Projekt der Abfallbeseitigung zu propagieren. Athen versank im Abfall, das Problem stank wortwörtlich zum Himmel. Dazu hatte der Schweizer auch noch die Finanzierung mit- gebracht. Alle drei Gesprächspartner schautenmit undurch- dringbaren Mienen auf ihr Gegenüber. Einer meinte «inter- essant, wir melden uns», ohne sich je zu melden, und ein anderer sagte: «Ich kann ihnen 20 Gründe nennen, weshalb dieses Projekt in Griechenland nie funktionieren wird.» Der Schweizer verstand die Welt nicht mehr, hatte er doch ein Produkt im Angebot, das nach 15 Jahren in den Besitz des jeweiligen Betreibers übergehen würde, das her- vorragend funktionierte und für die Abfallmisere in Athen Nach vier Jahrzehnten Berichterstattung aus Kriegen und Krisen weiss der Journalist Werner van Gent nur zu gut, dass Brückenbauen und das Überwinden von kulturellen Gräben meist mühselige Kleinarbeit ist. Wenn Gräben unüberbrückbar sind

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