Zenit Nr. 3, September 2020

Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 20 9 und ihrem Engagement kaum mehr traditionellen Vorstel- lungen von alten Menschen auf der Ofenbank entsprachen. Die neuen Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass sich das gefühlte Alter älterer Frauen und Männer immer mehr vom faktischen Alter wegbewegte. Die Mehrheit der heute 65- bis 80-Jährigen fühlt sich deutlich jünger, als es ihrem chronologischen Alter entspricht. So stuften sich gemäss Studie des Berner Generationenhauses 2018/2019 nur 15% der über 70-jährigen Personen selbst als «alt» ein. Politisch wurde diesen Vorstellungen eines langen, kom- petenzorientierten Alters dadurch Rechnung getragen, dass in den letzten Jahren die medizinische Kontrolle der Fahr- eignung von Autofahrern von 70 auf 75 Jahre erhöht wurde. Auch Alters- und Pflegeheime haben sich in den letzten Jahrzehnten neuen Altersmodellen angepasst. Anstelle ins- titutioneller Konzepte traten Konzepte, die das Leben im Heim als «normales Wohnen und Leben» verstanden. Sie öffneten sich gegenüber Besuchenden und Nachbarschaf- ten, etwa durch ein Café, das allen Leuten der Gemeinde offen steht, durch Veranstaltungen mit jungen Menschen, offene Gestaltung von Aufenthalts- undWohnräumen usw. Corona-Pandemie – Rückgriff auf alte Altersbilder Als Reaktion auf die Corona-Pandemie erklärten Bundes- rat und Bundesamt für Gesundheit alle Menschen über 65 Jahre zur Risikogruppe. Auch Grosseltern wurde sum- marisch von Kontakten mit Enkelkindern abgeraten (ob- gleich viele Grosseltern bei der Geburt der Enkelkinder deutlich jünger sind als 65). Dadurch wurden zeitweise alle älteren Menschen aus freiwilligen Engagements aus- geschlossen und defizitorientierte Altersbilder aus den 1970er-Jahren aktualisiert. Aber schon in den 1970er-Jah- ren haben namhafte Demografen (wie etwa Norman B. Ryder) die Festlegung der Altersbevölkerung auf Personen 65+ als höchst fragwürdig betrachtet. Eine kalendarische Altersdefinition ist demografisch, sozial und epidemiologisch ähnlich fragwürdig, als wenn Intelligenz nicht durch differenzierte Tests gemessen wür- de, sondern einfach das Gewicht des Hirns als Indikator verwendet wird (etwas, das im 19. Jahrhundert üblich war, wodurch Männer wegen grösseren Hirngewichts automatisch als intelligenter eingeschätzt wurden als Frauen). Durch den Rückgriff auf veraltete Altersdefinitio- nen ging auch die neue Unterscheidung zwischen drittem und viertem Lebensalter vergessen ebenso wie die Tatsache, dass gleichaltrige Menschen in allen gesundheitlich-kör- perlichen Dimensionen sehr unterschiedlich sind. Stark betroffen waren auch Alters- und Pflegeheime, die zumindest zeitweise wieder zu «geschlossenen Institutio- nen» wurden. Dabei betrafen regionale Besuchs- und Aus- gangsverbote auch Menschen in betreuten Wohnformen. Aufgrund der hohen Gefährdung waren die entsprechen- den Massnahmen an und für sich berechtigt, aber gleich- zeitig wurden die negativen Vorstellungen vom Leben im Alters- und Pflegeheim verstärkt. Zugute kann man Bundesrat und Bundesamt für Gesundheit halten, dass man zu Beginn der Pandemie we- nig wusste (und Corona-bedingte Todesfälle primär alte Menschen betreffen). In Krisenzeiten – wo rasch reagiert werden muss – sind Rückgriffe auf alte Strategien und Definitionen häufig. Erst in einer späteren Phase kann man differenzierter reagieren, etwa auch durch einen Wechsel von einem allgemeinen Lockdown zu gezielten Quarantäne- massnahmen. Langfristige Nachwirkungen Die Vorstellung des Alters als «Risiko» wurde gestärkt. Um- gekehrt wurde die enorme Bedeutung des Engagements älterer Frauen und Männer in der Kleinkindbetreuung oder bei sozialer und kultureller Freiwilligenarbeit konkret sichtbar (oft wird der Wert unbezahlter Arbeit erst sichtbar, wenn sie wegfällt). In vielen Regionen wurden während des Lockdowns Nachbarschaftshilfe und Nachbarschaftskon- takte gestärkt, und je persönlicher die Kontakte zwischen Jung und Alt sind, desto weniger spielen Altersstereotype eine Rolle. In der späteren Phase der Pandemie (Angst vor einer zweiten Welle) wird zudem immer klarer, dass nicht die «Alten», sondern überbordende Spassgesellschaften das grösste Risiko darstellen. Die langfristigen Auswirkungen der Corona-Krise auf allgemeine Altersbilder dürften des- halb bescheiden sein. Nachhaltiger und negativer dürfte sich die Corona-Krise hingegen auf Alters- und Pflegeheime auswirken, wo Offen- heit längerfristig durch eingrenzende Schutz- und Distan- zierungsmassnahmen ersetzt wird (was negative Vorstellun- gen von Pflegeheimen zusätzlich beflügelt). Damit wird sich der Wunsch älterer Menschen nach einer möglichst langen ambulanten Pflege (bis zum Lebensende) weiter verstärken. ALTERSBILDER Foto: Adobe Stock Wissen anstelle von Angst Die Infostelle Demenz gibt Antworten auf Fragen im Zusammenhang mit demenziellen Erkrankungen. Sie hat ihren Sitz bei der regionalen Beratungsstelle von Pro Senectute Kanton Luzern an der Maihofstrasse 76 in Luzern. Telefon 041 210 82 82, E-Mail: infostelle@alz.ch Das Telefon der Infostelle Demenz wird von qualifizierten Fachleuten bedient. Diskretion ist selbstverständlich gewährleistet. Getragen wird die Infostelle Demenz von der Alzheimervereinigung Luzern und von Pro Senectute Kanton Luzern. Inserat

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