Zenit Nr. 3, September 2021

Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 21 31 BLICK IN DIE GESCHICHTE Strafe wahrgenommen. Sie seien gerissen, gefährlich, gewalttätig, eigennützig und gottlos. Eine Steinplatte, welche die Zerstörung von Hospiz und Kirche durch die Sarazenen erwähnt, findet sich in Bourg-St-Pierre am Grand St-Bernard. Sie plünderten St-Maurice, Disentis, Chur und St. Gallen. Die Disentiser Mönche flohen 936 mit dem Kirchenschatz und wichtigen Handschriften nach Zürich. Kurz vorher, 926, hatten die Ungarn St.Gallen, Rheinau und Säckingen überfallen. Dass die Sarazenen nicht nur Tod und Verderben brachten, dafür gibt es zahlreiche Belege: Die 10 km lange Wasserleitung imVal d’Anniviers, die «Bisse des Sarrasins», der höchstgelegene Schweizer Rebberg «Heida» in Visper- terminen (oder haben bereits die Kelten im Wallis Reben angebaut?), das «grano saraceno» (wie der Buchweizen in Italien heisst) und die 1137 als «pons sarasina» belegte Brücke in Pontresina. Zahlen, Familien- und Ortsnamen Die Familiennamen Sarraz, Sarasin und Montserrat weisen eindeutig auf Sarazenen hin. Möglicherweise sind auch Ortsnamen wie Saas-Almagell (al mahall =Ortschaft), Gabi am Simplon (al gabi =Zollstation) oder das Allalinhorn und die Eienalp (al ain=Quelle) arabischen Ursprungs. Ferner sprechen die zahlreichen (mozarabischen) Bauwerke von sarazenischen Architekten und Künstlern in Spanien und Italien von einer friedlichen und gegenseitigen kulturellen Befruchtung. Zeuge dieses Prozesses sind die arabischen Zahlen und die arabischen Lehnwörter wie Algebra, Admiral, Alkohol, Artischocke, Kadi, Kaffee, Karaffe, Kuppel, Magazin, Matratze, Mokka, Monsun, Razzia, Safari, Safran, Sofa, Tarif, Ziffer und Zucker. Friedrich II. (1194–1250) hielt sich ein sarazenisches Heer und überliess 20 000 Arabern die Stadt Lucera in Apulien. Sie waren ihm treu ergebene Kämpfer und immun gegen den päpstlichen Bann. Doch zurück zu den Sarazenen aus Fraxinetum. Im Sommer 972 entführten sie den Abt Maiolus von Cluny bei Orsières im Wallis. Maiolus kam gegen die Zahlung von 1000 Pfund Silber wieder frei. Der Chronist Radolfus Glaber beschreibt die Muslime beinahe sympathisch: «Sie behandelten den Abt und seine Reisebibel mit grossem Respekt.» Ein Jahr danach besiegte der provenzalische Adel die Sarazenen endgültig in der Schlacht von Tourtour. Fraxinetum wurde zerstört und die arabischen Fremdlinge wurden vertrieben, getauft oder versklavt. Der St.Galler Chronist Ekkehard IV. (980–1057) sieht den Sarazeneneinfall gelassener: Sie seien besiegt und in einem Alpental angesiedelt worden. Kaiser Otto I. seien sie tributpflichtig und würden «Töchter des Volkes heiraten». Ein frühmittelalterlicher Beleg für eine geglückte Integration. DER SARAZENISCHE EINFLUSS IN DER SCHWEIZ Die Sarazenen haben auch bei uns nachhaltige Spuren hinterlassen. Davon zeugen z.B. der Name des Allalinhorns (oben), die «Bisse des Sarrasins» (Mitte) und der Ortsname Pontresina (unten) – sie alle sind wohl arabischen Ursprungs. Fotos: Adobe Stock, Wikipedia, Valdanniviers.ch

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