Zenit Nr. 3, September 2017

GROSSELTERN HEUTE ausfordern, beweglich und offen zu sein und zu bleiben. Insbe- sondere die Zunahme von Patchwork-Familien bringt neue Themen auf, beispielsweise die Frage, wer für wen verantwort- lich sein kann und sein will. Es hat es wohl noch nie gegeben, dass der Austausch zwischen den Genera-tionen so bewusst und aktiv gestaltet wurde. Und viele Gross-eltern erwähnen, dass ihnen die Enkelkinder in ihrem Leben einen neuen Sinn geben. Dabei kann nicht unerwähnt bleiben, dass es familiäre Beziehungen gibt, die schwierig sind, wo das Schöne der Gross- elternschaft nicht gelebt werden kann oder will. Im Weiteren gibt es sehnsüchtige Grossväter und Gross- mütter, die Enkel möchten und keine haben. Ihre Kinder haben andere Pläne. Das kann schmerzhaft sein. Kinderlose Frauen haben möglicherweise auch eine Sehnsucht nach Enkeln. Doch es gibt keinen Anspruch auf leibliche Enkel- kinder. Aber es gibt Möglichkeiten, soziale Grosseltern zu sein in Schulen, in der Flüchtlingsarbeit, als Patengrossmutter oder Patengrossvater. Grosseltern – früher, heute Von einem gewissen Alter an, ich würde sagen ab Mitte sech- zig – mit demRentenalter –, kann man ältere Menschen gene- rell als grosse Mütter, grosse Väter, Grossmütter, Grossväter, Grosseltern, auch Tanten, Onkel benennen – freiwillig und unfreiwillig, aktiv und passiv, bewusst oder unbemerkt, leib- lich und sozial, mit und ohne Enkel. Es lohnt sich, diesem generellen Gross-Mutter- und Gross-Vater-Sein nachzu- gehen, das nicht mehr an die Leiblichkeit gebunden ist. Früher war eine Grossmutter generell eine alte, bucklige, zahnlose Frau, dasselbe beim Grossvater, wobei der Gross- vater – mit Pfeife, auf der Bank vor dem Haus und als Mann –, wahrscheinlich etwas besser wegkam. Die früheren Alten waren von den Jungen abhängig. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Emanzipation der älteren Generation von der jüngeren. Die Lebenserwartung stieg. Ältere Menschen wurden durch die Sozialversicherungen finanziell unabhän- gig. Heute haben die grossen Mütter und die grossen Väter eine Fülle von Wahlmöglichkeiten im Leben, die historisch beispiellos ist. Sie sind wacher, gesünder und aktiver als frü- her. Und sie sind Grossmütter und -väter und repräsentieren die dritte (Hochaltrige die vierte) Generation. Die sozialen Grosseltern werden zunehmend wichtig. Es ist ein Engagement ohne leibliche Zugehörigkeiten. Freiwillig. In Familien, Schulen, Flüchtlingszentren und anderen Orten. Es geht um ein Programm von Mitmenschlichkeit. Es bedeu- tet Engagement ohne Einmischung. Es ist Friedensarbeit. Es kann ja nicht sein, dass alternde Menschen ohne leibliche Kinder und Enkel nicht Grosseltern sein können. Grosseltern sein zu dürfen, ist zunehmend bei älteren Frauen und Männer ein Bedürfnis. Und es gibt Möglichkeiten. Grosseltern erfüllen neben der persönlichen Seite eine wich- tige gesellschaftliche Funktion. Dafür braucht es keine eigenen Kinder und keine eigenen leiblichen Enkelinnen und Enkel. Hier kommen die sozialen Grosseltern und die sozialen Enkel zum Zug. Die Frage ist, wie sie sich finden und welches Arrangement sie aushandeln. Es gibt heute Institutionen für das Alter, die solche Möglichkeiten vermitteln, betreuen und Weiterbildung anbieten. Es gibt Gruppen von älteren Frauen ohne Kinder, die auf einer Plattform Hütedienste anbieten. Es sind ehrenamtliche Tätigkeiten. Sie stehen im Zeichen des Zusammenrückens, des Lernens, für andere da zu sein, sich zu interessieren. Es geht um gelebte Mitmenschlichkeit und Solidarität. Es gibt heute Bedürfnisse in allen Generatio- nen, mehr für andere da zu sein. In der älteren Generation sind diese Bedürfnisse besonders ausgeprägt; nämlich die eigene soziale Seite mehr zu leben und diese als soziale Gross- mutter, als sozialer Grossvater zu gestalten. Sich quer durch die Generationen zu komplettieren. - Schulgrossväter und Kindergartengrossmütter Es gibt Schulkinder, die sich nach der übernächsten Generation sehnen, nach gütigen Grosseltern, die sie selbst nicht haben oder die weit weg sind. Vor allem Ausländer – insbesondere Flüchtlingskinder – haben selten die Grossel- tern in der Nähe. Sie kommen aus Kulturen, in denen alte Menschen einen hohen Status besitzen. Sie lieben ihren Schulgrossvater oder ihre Kindergartengrossmutter. Und diese lieben ihre Schulenkel. In Asylunterkünften und Flücht- lingszentren sind heutzutage viele Freiwillige, unter ihnen viele ältere Menschen, tätig. Flüchtlingskinder suchen hier in Europa den Kontakt zu älteren Menschen. Wenn sie Glück haben, finden sie ihn, weil von zwei Seiten her Wünsche offen sind: von den Flüchtlingskindern, die sich nach Grosseltern sehnen, und von den enkellosen Senioren und Seniorinnen, die sich nach Enkeln sehnen. Kein älterer Mensch mit dem Wunsch, die Grosseltern- rolle zu leben, soll diese Möglichkeit nicht leben können. Unsere Gesellschaft ist im Familiären und im Öffentlichen vielfältig geworden. Dasselbe gilt für das Grosseltern-, Gross- mutter-, Grossvater-Sein. Grosseltern sind wichtig für unsere Gesellschaft, weil sie die emotionale Seite anders leben können als bei den eigenen Kindern, sie sind sorgend, zu- gewandt und verkörpern eine Generation, die den Enkeln nicht vergessen gehen soll. Katharina Ley (69) ist Buchautorin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Bern. Literatur: «Anders älter werden. So gelingen die besten Jahre», Verlag Fisher&gannn, Munderfing (A) Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 17 13 igen Li gens 15 XQG 6FKODIHQ ,* 5/6 LQLWLLHUW YRP ELV 0DL QWHU 1HXHQNLUFK GLH 7¾UHQ XQG O¦GW 6LH KHU]OLFK 6FKODIHQ ]X HUIDKUHQ HVFK¦IW IROJHQGH $NWLYLW¦WHQ LJ OLHJHQê XQG .LVVHQ 9RUI¾KUXQJ DQQXQJV XQG (LQVFKODIWUDLQLQJ J ¾EHU ìULFKWLJ OLHJHQ XQG VFKODIHQê YRUDQPHOGHQ Q %HVXFK XI XQVHUHU :HEVLWH G *U¾WHU .DWH *U¾WHU 6DPXHO *HLVHU

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