Zenit Nr. 2, Juni 2021

Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 21 25 URS HUNKELER (51), NEUBRUGG SURSEE «Ohne Aufgabe hätte ich psychische Probleme» Viele Jahre hat Hildegard Bossart im Brändi im Hausdienst und in der Produktion gearbeitet. «Das war schon streng», sagt sie rückblickend. Deshalb war sie froh, als sie vor zwei Jahren in Rente gehen konnte. Seither lebt die 65-Jährige mit sechs Mitbewohnenden in einer WG im Wohnhaus Stöckli, einem Angebot für pensionierte Menschen mit Beeinträchti- gung. «Anfänglich war es etwas komisch, nicht mehr arbei- ten zu gehen», sagt sie. Inzwischen hat sie sich an den ge- mächlicheren Alltag gewöhnt. Hildegard Bossart braucht leichte pflegerische Unterstützung, aber sie führt ein eigen- ständiges Leben. Sie schaut fern, hört Musik, geht spazieren, näht Puppenkleider, besucht die Aktivierung oder trifft eine ihrer vier Schwestern – am liebsten zum «Käfele». In ihrem gemütlichen Zimmer im «Stöckli» fühlt sie sich geborgen. Keinesfalls möchte sie in eine eigeneWohnung ziehen. «Man weiss ja nie, wer plötzlich vor der Türe stehen würde», sagt sie. «Hier ist immer jemand. Ich bin zufrieden, wie es ist.» HILDEGARD BOSSART (65), WOHNHAUS STÖCKLI HORW «Eine eigene Wohnung möchte ich nicht» BeimAWBNeubrugg wird das bekannte Brettspiel «Brändi- Dog» produziert, das in der Pandemie so gefragt ist wie noch nie. Hier arbeitet der gelernte Schreiner Urs Hunkeler. Er bedient das Bohrcenter, führt Schleif- und Fasarbeiten aus oder ist für die Schlusskontrolle verantwortlich. Die Arbeiten sind einfacher als seine frühere Tätigkeit als Mon- tageschreiner. Dennoch ist der 51-Jährige amMittag jeweils so erschöpft, dass er sich zu Hause zuerst hinlegen muss. Herzprobleme und ein Hirnschlag haben das Leben von Urs Hunkeler auf den Kopf gestellt. Seither kämpft er mit Konzentrationsproblemen, Gedächtnisausfällen und ermüdet rasch. Unzählige Untersuchungen und eine sechs- monatige berufliche Abklärung in einem Zentrum für Hirnverletzte bestätigten, was der Single längst spürte: Eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt wird schwierig. Als ihm jemand das Brändi als möglichen Arbeitsort vorschlug, musste er leer schlucken. «Brändi gleich behindert, dachte ich.» Andererseits war ihm bewusst: «Ohne Aufgabe bekomme ich psychische Probleme.» Seit zweieinhalb Jahren arbeitet Urs Hunkeler nun in einem Teilpensum jeweils am Vor- mittag im AWB Neubrugg in Sursee. Bei manchen Kollegen sorgte das anfänglich für Kopfschütteln. Er gehöre doch nicht ins Brändi, sagte einer. «Ich konterte: Doch, es ist das Richtige. Und wer weiss, ob du nicht selbst irgendwann auf eine solche Stelle angewiesen bist.» Ist Urs Hunkeler glücklich mit seinem heutigen Leben? «Ich bin nicht unglück- lich», antwortet er. Er lebe mit gewissen Einschränkungen, das sei unbestritten. «Doch ich habe meine Wohnung, gehe gern spazieren, kann reisen, habe ein gutes sozia- les Netz, zwei Patenkinder, die mir Freude bereiten, und durch die Arbeit einen sinn- vollen Alltag. Das ist doch eine Art Glück, oder?» SICH SELBER SEIN

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