Zenit Nr. 2, Juni 2019

12 Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 19 «Geh aus, mein Herz, und suche Freud » Foto: Peter Lauth von Katharina Ley* «Und plötzlich nimmst du die Fahrt wieder auf …»: Hier begegnen sich der evangelisch-lutherische Theologe und Kirchenlieddichter Paul Gerhardt mit seiner ersten Strophe des Sommerliedes «Geh aus, mein Herz» und der italienische Schriftsteller Giuseppe Ungaretti mit seinem Gedicht «Freude der Schiffbrüche». Es geht um Aufbruch. Um die Suche nach Freude. Wir sind Teil der Natur. Alles, was geboren wird, stirbt. Das wird auch uns so gehen. Noch leben wir, die jungen Alten und die alten Alten. Ein älterer und alter Mensch hat schon vieles erlebt. Was wiegt im Alter mehr – die erlebten Freuden und Glücksmomente oder die «Schiffbrüche», Abschiede und Verluste? Jede Lebensfreude eines Men- schen hat etwas Subjektives, Individuelles. So hat auch jeder und jede danach zu suchen, was ihm und ihr Freude am Leben beschert. Vielleicht können wir uns einen Klang vorstellen, die Basslinie der Melodie unseres Lebens. Wenn jeder Tag ein Geschenk ist, klingt das nach Lebensfreude. Sie kann ein tiefes inneres Gefühl sein, ein Erahnen des Geheimnisses des Lebens, ein Staunen, innere Harmonie, Zufriedenheit, ein stilles Lächeln ohne ersichtlichen äusseren Grund.Wir leben noch – wir freuen uns, auch wenn es nachdenkliche, leidende und traurige Tage gibt. Und dann gibt es die inszenierte Lebensfreude: ein schöner Anlass, ein Treffen mit Familie und Freunden, eine Schifffahrt, ein Tanz, ein Waldspaziergang, ein bewusstes Ein- und Ausatmen, eine achtsame Geh- meditation. Lebensfreude als Innehalten und merken: Ich lebe, ich kann mich öffnen, ich bewege mich, und ich achte mich. Ehrfurcht vor dem Leben, hat «der Urwaldarzt» Albert Schweitzer geschrieben. Diese Ehrfurcht gilt auch uns selbst, die wir Teil des Lebens und der Natur sind. Heute würden wir einen anderen Begriff suchen für Ehrfurcht. Vielleicht achtsamer, bewusster und liebevoller Respekt uns und un- seren Mitmenschen gegenüber. Liebevoller Respekt, denn ohne Liebe sind wir Vögel mit gebrochenen Flügeln. «… wie nach dem Schiffbruch ein überlebender See- bär»: Im Älterwerden schauen wir alle im Normalfall auf einige Jahrzehnte zurück. Auf Freuden und Leiden. Ängste und Hoffnungen. Lebensfreude und Lebens- verdruss. Schiffbruch erlitten haben und Überleben wie ein Seebär. Vielleicht ist uns zuweilen die Lebensfreude abhanden gekommen. Es ist nie zu spät, sich der Lebensfreude, der Geh aus, mein Herz «Es ist nie zu spät, um Lebensfreude zu empfinden. Ein Säugling lächelt. Ein Kind jauchzt. Ein verliebtes Paar strahlt Freude aus. Eine ältere Frau lacht aus vollem Hals. Lächeln und lachen sind ansteckend. Missmut und Trauer auch. Wir haben uns zu entscheiden. Immer wieder. Schön ist es, wenn es eine Entscheidung zur Freude ist. Zur Offenheit. Zur Resonanz. Zur Begegnung. Zur Liebe.» Paul Gerhardt Freude der Schiffbrüche «Und plötzlich nimmst du die Fahrt wieder auf wie nach dem Schiffbruch ein überlebender Seebär.» Giuseppe Ungaretti

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