KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 3/2020

48 ERFAHRUNGSBER I CHT 03 / 2020 K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ «D as Video ist das Stethoskop des Kinderarztes.» Dieser Satz fiel im Rahmen der acht Blöcke des Vorsorgekurses immer wieder. Die Kursteilnehmer wa- ren sehr gespannt darauf, während des Vorsorgekur- ses Videos aus dem Praxisalltag der erfahrenen Ent- wicklungspädiater zu sehen. Sie erhofften sich, dadurch hilfreiche Anregungen für die eigenen Konsultationen zu bekommen. Die sechs Teilnehmer der Supervisionsgruppe hatten zur Aufgabe, jeweils ein zum aktuellen Kursblock pas- sendes Video einer eigenen Vorsorgekonsultation mit- zubringen. Den meisten fiel es zu Beginn schwer, die Video-Hausaufgabe in die Tat umzusetzen. Zum einen musste man sich überwinden, die Patienten nach der Erlaubnis zu fragen, diese zu filmen. Zum anderen war es für die meisten Teilnehmer sehr ungewohnt, sich im Berufsalltag selbst zu filmen und dieses Video in einer Gruppe von Kollegen zu präsentieren. Die gute Atmosphäre in der Gruppe ermöglichte, dass die teilnehmenden Ärzte sich sogar trauten, Videos von «missglückten» Untersuchungen oder Patientengesprä- chen mitzubringen, also Konsultationen, die sie selbst als irgendwie «schiefgelaufen» wahrgenommen hatten. Oft konnten die Ärzte vor der Präsentation des Videos nicht genau sagen, warum sie sich in der Konsultation unwohl gefühlt hatten oder warum sie das Gefühl hatten, ir- gendetwas sei im Gespräch nicht in die richtige Richtung gelaufen. Genau diese Videos waren aus meiner Sicht letztendlich die wertvollsten. Sepp Holtz schaffte es mit seiner aufmerksamen und wertschätzenden Art, explizit diejenigen Punkte herauszufischen, die man selbst nicht klar benennen konnte. Es waren oft Kleinigkeiten mit grosser Wirkung, welche man selbst, ohne den Perspek- tivenwechsel durch die Videokamera und Sepp Holtz‘ ge- schärften Blick, häufig gar nicht wahrgenommen hätte. Mal fehlte die zum Beginn der Konsultation wichtige Auftragsklärung, ohne die ein Patientengespräch oft ohne Ziel und für alle unbefriedigend verläuft. Ein häu- fig wiederkehrender Fehler, der wohl jedem Arzt in sei- nem Berufsleben immer wieder passieren wird. Ein an- deres Mal fehlte eine geeignete Beschäftigung für die kleinen Patienten, damit der Arzt sich mit dem Eltern- teil konzentriert unterhalten konnte. Manchmal offen- barte das Video, dass man über eine halbe Stunde nur mit einem der beiden anwesenden Elternteile sprach und Blickkontakt hatte. Für die Bewältigung schwieriger Gesprächssituationen half uns Sepp Holtz mit seinen prägenden «Hexensät- zen», wie er sie selbst nennt. Sätze, die in festgefahre- nen Gesprächssituationen neuen Raum oder neue Per- spektiven ermöglichen. Sätze, die das Gegenüber zum – manchmal nicht leichten – nächsten Schritt ermutigen oder die das Gegenüber auffordern, sein Anliegen kla- rer zu formulieren. Sätze, die aus einer angespannten und negativ aufgeladenen Situation Druck herausneh- men können. Also wichtige gesprächstherapeutische Tipps für den pädiatrischen Praxisalltag. Es sind gut formulierte, eingehende Sätze und kluge An- merkungen von einemArzt, der die grosse Bandbreite von Fragen und Fallstricken des kinderärztlichen Alltags ge- nau kennt und der all seine überaus hilfreichen Ratschlä- ge über viele Jahre selbst ausprobiert und verfeinert hat. Das für mich persönlich völlig ungewohnte Arbeiten mit Videos war – unverhohlen gesagt – eine herausfordern- de und wertvolle Erfahrung in Zeiten, in denen Selfies, Videos und unbegrenzte Mengen an Fotos im Privatle- ben für viele mittlerweile zur Normalität geworden sind. Eine Selbst-Erfahrung, die wohl niemand der Teilneh- mer missen möchte. Viele der in der Supervisionsgruppe erlernten kommu- nikativen Werkzeuge und praktischen Tipps bereichern mittlerweile meinen Praxisalltag. Es ist wohltuend zu wissen, dass es auch nach vielen Jahren Arbeit in der Kinderheilkunde Freude macht, seinen Arbeitsalltag zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. ■ DR. MED. JULIA KRESING FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, KINDERÄRZTE IM SIHLMED, ZÜRICH Korrespondenzadresse: praxisalbisriederplatz@hin.ch Von vielen gewünscht und immer wieder nachgefragt, konnte in den Jahren 2018/ 2019 der Vorsorgekurs von Kinderärzte Schweiz endlich wieder durchgeführt werden. Der Kurs vermittelt unter der Mitarbeit von zahlreichen Entwicklungspädiatern, Kinderärzten mit unterschiedlichen Schwerpunkten, Therapeuten, Pädagogen und Juristen, einen umfangreichen Überblick über Inhalte und mögliche Zielsetzungen von Vorsorgeuntersuchungen. Der Mitorganisator und Entwicklungspädiater Dr. Sepp Holtz aus Zürich bot den Teilnehmern eine kursbegleitende Supervisionsgruppe an. In dieser konnten die Kursinhalte anhand von eigenen Videos aus der Praxis vertieft und diskutiert werden. Insgesamt nahmen sechs der 30 teilnehmenden Kinderärzte, die aus der ganzen Deutschschweiz kamen, an der Supervision in Zürich teil. Supervision Vorsorgekurs Das Video als Stethoskop des Kinderarztes Ein wertvoller Perspektivenwechsel im Praxisalltag Foto: Julia Kresing/Sepp Holtz

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