KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 1/2020

01 / 2020 ERFAHRUNGSBER I CHT K I N D E R Ä R Z T E . SCHWEIZ 57 Z iel dieses zweitägigen Workshops sollte es sein, uns Kinderärzten mehr Sicherheit im Umgang mit der Suizidalität zu geben: Risikofaktoren erkennen, Gefähr- dung einschätzen, Weiterbehandlung einleiten und prä- ventiv arbeiten. Suizide sind bei Kindern und Jugendlichen die zweit- häufigste Todesursache nach Verkehrsunfällen. In der Schweiz zählte man 2016 insgesamt 1016 Suizide. Die Referenten aus Deutschland sind Teil des Nationalen Suizidpräventionsprogramms. Kleine Präventionsmass- nahmen können viele Suizide verhindern, auch wenn es in unseren Augen «unlogisch» erscheint. Es lohnt sich zum Beispiel Medikamente zu verblistern, also die Tabletten einzeln zu verpacken und nicht, wie in den USA üblich, in grossen Flaschen zu verkaufen. Es zahlt sich aus, kleine Packungen zu verschreiben (zum Beispiel 1 OP Paracetamol à 20 Tabletten). Patienten scheinen nicht in mehrere Apotheken zu gehen und überall eine kleine Packung zu kaufen. Auch bauliche Massnahmen wie Gitter an bestimmten Brücken oder Türmen halten die Suizidenten ab. Erfah- rungsgemäss weichen sie nicht auf Nachbarbrücken aus, auch wenn sie auf dem Weg zur Zielbrücke gegebenen- falls über 30 andere hohe Brücken gelaufen sind. Nicht alles endet im Selbstmord. Beginnen wir mit dem sogenannten Nichtsuizidalen Selbstverletzenden Verhalten (NSSV) . Es wird definiert als eine bewuss- te freiwillige und direkte Zerstörung von Körpergewe- be ohne suizidale Absicht. Achtsam sollte man sein bei Frequenzzunahme und/oder bei sehr tiefen Verletzun- gen. Wichtig im Umgang ist Zuhören, aber nicht Urtei- len, eine typische gute Frage wäre «Wobei hilft es dir?». Wunden von Selbstverletzun- gen sollte man «nicht emoti- onal» behandeln, empfohlen wird eine gute Wundversor- gung, aber keine Panik und kein Aktionismus. In Deutschland liegt die Lebens- zeitprävalenz bezüglich einem einmaligen NSSV bei Jugend- lichen immerhin bei 25–35%. Beim Suizid unterscheidet man zwischen Versuch (3× mehr bei Mädchen) und vollendetem Suizid. Als Suizid- versuch gilt definitionsgemäss auch das Stehen auf dem Fenstersims oder das Setzen des Fusses auf ein Bahn- gleis. In den ersten 6 Monaten nach einem Suizidversuch besteht ein 30% erhöhtes Wiederholungsrisiko. Die wichtigste Handlungsempfehlung für uns Kinderärz- te ist, den Patienten aktiv auf einen möglichen Suizid an- zusprechen. Damit fühlt er sich verstanden und entlas- tet. Jugendliche kündigen einen Suizid meist vorher an, es ist also wichtig, Suizidäusserungen ernst zu nehmen und möglichst die Eltern, auch bei schwierigen familiä- ren Situationen, mit ins Boot zu holen. Screeningfragen für den Kinderarzt ■ Hast du daran gedacht, wie du dir das Leben nehmen willst? ■ Hast du schon mal etwas gemacht, bei dem man sterben könnte? ■ Hast du aktuell Vorbereitungen für einen Suizid getroffen? ■ Hast du dir schon einmal Gedanken gemacht, ob das Leben noch Sinn macht? ■ Was hält dich am Leben? ■ Welche Ziele hast du im Leben? ■ An wen würdest du dich wenden, wenn du Hilfe brauchst? ■ Kannst du mir versprechen, dass du dich an mich / an… wendest, bevor du dir etwas antust? Die Take-home Message ist eindeutig: Die Jugendlichen ansprechen ist die beste Prävention! ■ IRMELA HEINRICHS MITGLIED REDAKTIONS- KOMMISSION, USTER Korrespondenzadresse: iheinrichs@hin.ch KURSLEITUNG: DR. MED. JAN CAHLIK FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN, AFFOLTERN AM ALBIS REFERENTEN: DR. MED. VIKTOR E. KACIC MCR PSYCH, FACHARZT FÜR KINDER- UND JUGEND- PSYCHIATRIE UND -PSYCHOTHERAPIE, ASCHAFFENBURG (D) DIPL.-PSYCH. FRANK ZIMMERMANN PSYCHOLOGISCHER PSYCHOTHERAPEUT, KINDER- UND JUGEND- PSYCHOTHERAPEUT, DARMSTADT (D) Nichtsuizidale Selbstverletzung, Suizidalität, Suizidprävention bei Kindern und Jugendlichen 21. und 22. November 2019

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