KINDERÄRZTE.SCHWEIZ 4/2017

K I N D E R Ä R Z T E. SCHWEIZ 43 04 / 2017 ERFAHRUNGSBER I CHTE Dr. Antje Hugi Maier hat für Kinderärzte Schweiz einen hervorragenden Workshop zur Migrationsmedizin in der Kinderarztpraxis organisiert. Die Themen waren breitgefächert und praxisrelevant ausgewählt. Angeboten wurden sowohl Präsentationen im Plenum als auch themenvertiefende Workshops, aus denen die Teilnehmer wählen konnten. Zahlen und Fakten zur Migration und Wissenswertes zu Ernährung, Hämatologie, Infektionen, Impfungen, genitaler Beschneidung, rechtlichen und sozialen Aspekten wurden vermittelt. Arbeitsblätter, die zum sofortigen Gebrauch in der kinderärztlichen Praxis eingesetzt werden können, wurden ausgehändigt. Die für die Teilnehmer online zur Verfügung gestellten Hand-outs sind eine Fundgrube, um medizinisches Fachwissen nachzuschlagen.  Ich werde im Folgenden Wissenswertes aus der Fortbildung zusammenfassen.  Wenn Kinder, Jugendliche und Familien, die ihre Ursprungsländer verlassen haben, in der kinderärztlichen Praxis ankommen, haben sie eine oftmals sehr gefährliche Reise hinter sich. Wir wissen meist nur bruchstückhaft, was diese Menschen bewegt hatte, ihr Land zu verlassen. Oft finden wir kaum Zeit, ihre bewegenden Geschichten zu hören.  2016 wurden in der Schweiz 27207 Asylgesuche von Menschen gestellt, die ihre Herkunftsländer aufgrund von Krieg und politischer Verfolgung verliessen. Mehrheitlich stammen diese Menschen aus Eritrea, Afghanistan und Syrien.  1997 (7,3%) waren Anträge, die von unbegleiteten, minderjährigen, mehrheitlich männlichen (85%) Asylsuchenden (UMA) gestellt wurden. Die UMA sind zu 63% 16–17 Jahre alt. Ein Drittel (35%) sind 13–15-Jährige. Die restlichen UMA sind 8–12 Jahre alt. Zum Teil reisen die mehrheitlich männlichen Jugendlichen (85%) in Gruppen, zeitweise sind sie auch begleitet von Erwachsenen. Unbegleitete minderjährige Asylsuchende berichten oft über Gewalterfahrungen im Heimatland. Auf der Flucht machen viele Flüchtlinge traumatische Erfahrungen wie sexuelle und körperliche Gewalt. Sie haben keinen Zugang zu Bildung. Sie werden zur Arbeit gezwungen. Sie verlieren den Kontakt zu ihren Eltern.  Es stellt sich die Frage, welche Stationen die Asylsuchenden Menschen in der Schweiz hinter sich gelassen haben, bevor wir ihnen in unseren Praxen begegnen. Sie haben eines der fünf Empfangs- und Verfahrenszentren (EVZ) der Schweiz (Basel, Chiasso, Kreuzlingen, Vallorbe, Altstätten) passiert. Dort wurden sie registriert. Eine Erstbefragung nach ihren Fluchtgründen fand statt. Es kann ein Nicht-Eintretensentscheid ausgesprochen werden oder die Asylsuchenden werden einem Kanton zugeteilt, wenn das Staatssekretariat für Migration mehr Zeit braucht, um das Asylgesuch zu prüfen. Sie erhalten den Ausweis N. Wird die Flüchtlingseigenschaft einer Person anerkannt, erhält die Person Asyl, einen B-Ausweis sowie einen Reiseausweis für Flüchtlinge. Ehegatten und minderjährige Kinder dürfen in die Schweiz einreisen und erhalten ebenfalls Asyl.  Welche Aufgaben stellen sich dem Praxispädiater in der Erstkonsultation, wenn er den Kindern und Jugendlichen aus asylsuchenden Familien eine qualitativ gute Primärversorgung anbieten möchte?  Eine achtsame Beziehungsaufnahme mit demKind und seiner Familie, sowie die Erhebung einer exakten Anamnese sind wichtig. Sozialanamnese (aktuelles Alter, Herkunftsland, Sprache, Migrationsgrund, Fluchtweg und -dauer, seit wann in der Schweiz, Aufenthaltsstatus, Unterkunft), die Familienanamnese (Geschwister, Stammbaum, HIV, Tbc) und die persönliche Anamnese (Geburt, Meilensteine etc., Varizellenstatus, BCG geimpft) werden erfragt. In der Systemanamnese wird neben bekannten Themen wie Ernährung etc. nach traumatischen Erlebnissen gefragt. Der klinische Status soll vollständig durchgeführt werden. Er umfasst Gewicht, Grösse, Pubertätszeichen und ein Seh- und Hörtest.  Betont werden muss, dass im klinischen Status gesund erscheinende Kinder, trotzdem infektiöse und/ oder hämatologische Erkrankungen haben können.  Differentialdiagnostisch stehen Hepatitiden, HIV, Intestinale Würmer, Schistosomiasis, Syphilis, latente Tuberkulose im Fokus.  Deshalb empfiehlt es sich in der Erstkonsultation folgende Abklärungen zu veranlassen: (Tabelle 1): Die Parasitensuche im Stuhl ist indiziert. Entweder werdendrei Nativstuhl-Röhrchen mit allgemeiner Parasitensuche plus einmalig Giardia lamblia-Antigen im Stuhl oder aber einmal das Giardia lamblia-Antigen im Stuhl bestimmt, um danach direkt die Therapie mit AlbendaMigrationsmedizin in der Kinderarztpraxis 29.–30. Juni 2017 DR. MED. CAMILLA CEPPI, FACHÄRZTIN FÜR KINDER- UND JUGENDMEDIZIN FMH, PRAXISPÄDIATERIN IN DÜBENDORF Korrespondenzadresse: c.ceppi@hin.ch Material Empfohlener Test für alle asylsuchenden Kinder und Jugendlichen Teste empfohlen je nach Alter, Risikofaktoren und Epidemiologie Blut vollständiges Blutbild, Reti, Ferritin HbsAg, anti-HBc, HIV-1/HIV-2 Antikörper +/– Tetanus Antikörper (1 Mt. Nach Booster) Vit D3, evtl. Ca, evtl. Vit B 12 Chagas-Serologie Interferon gamma release assay (IGRA) Schistosomiasis-Serologie Strongyloides-Serologie Syphilis-Serologie (TPPA oder ähnliche) Stuhl 3-mal Parasiten Urin Urinstatus Andere Tuberkulinhauttest (< 5 Jahre) Tuberkulintest Tabelle 1

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