Zenit Nr. 4, Dezember 2018

Pro Senectute Kanton Luzern 4 | 18 11 Cremen, Salben und Wellness-Angebote jeder Art sind auf dem Markt. Ein Kloster in Deutschland propagiert erfolg- reich ein Anti-Aging-Bier. Ich habe eines getrunken. Es schmeckt prima. Ob es mich zu verjüngen vermag, wage ich zu bezweifeln. Altern ist keine Schande. Wer das einsieht und zu sei- nen Jahren steht, wirkt entspannter und ist jünger. Mehr als einmal bin ich in den letzten Jahren Frauen – gelegent- lich auch Männern – begegnet, die mir plötzlich lebendi- ger, frischer, authentischer vorgekommen sind. Was war passiert? Sie hatten sich entschlossen, ihr Haar so zu zeigen, wie es mit den Jahren geworden war: ergraut. Paradoxerweise waren sie nur so lange «graue Mäuse», wie sie ihr Alter durch rot oder schwarz oder wie immer gefärbtes Haar und viel Schminke zu vertuschen versuch- ten. Wer in puncto Alter sich und andern etwas vormacht, trauert der verwelkten Jugend nach, statt die Chance zu ergreifen, im Herbst des Lebens zu reifen – trotz oder gerade dank Altersbeschwerden. Ein beschwerdefreies Alter gibt es nicht. Auch nicht im «Gesundheitszeitalter», das Manfred Lütz in dem Buch «Über Risiken und Nebenwirkungen des Gesundheits- wahns» aufs Köstlichste charakterisiert hat. Im Alter er- müden wir schneller, die Sinne verlieren ihre Schärfe, und die Kommunikation wird trotz Brille und Hörgerät schwieriger. Pointiert lässt sich sagen: Im Alter nehmen alle Sinne ab, nur der Eigensinn nimmt zu. In der Tat, wir treffen gelegentlich alte Menschen, die sehr eigenwillig oder eben eigensinnig sind. Ich kenne aber auch andere, die in dieser Phase des Lebens sich dankbar des Vergange- nen erinnern, ohne es zu vergolden. Sie sind weise gewor- den und strahlen eine Güte und Wärme aus, die die Welt reicher macht. Das Zeitliche segnen und heute damit beginnen Bedingt durch einen grösseren operativen Eingriff im ver- gangenen Jahr habe ich «zwischen Leben und Tod» viel über das Leben und den Tod erfahren. Ich habe gelernt, auch in meinen alten Tagen das Leben neu zu sehen: als einmalig, begrenzt, zu Ende gehend und gerade darum kostbar. Das habe ich natürlich schon vorher gewusst. Aber etwas wissen und etwas existenziell erfahren – das ist etwas ganz anderes. Und was den Tod angeht: Da war eine Leichtigkeit zu spüren. Ein Wissen um die Grenzenlosig- keit des Lebens, an dem wir nicht erst nach dem Tode teil- haben, das wir gültig, aber noch nicht endgültig schon jetzt erfahren. Ich habe zu Lebzeiten begonnen, «das Zeit- liche zu segnen.» Diese Redensart stammt von der alten Sitte, dass Sterbende, mit einem Bein schon im Jenseits, Gottes Segen auf ihre Kinder und alles, was zurückbleibt – eben «das Zeitliche» – herabrufen. Das Zeitliche segnen und heute damit beginnen: ohne Neid, aber mit viel Wohlwollen. Nicht mit einem müden, wohl aber mit einem wissenden und weisen Lächeln.

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