Zenit Nr. 3, September 2020

Corona-Krise Pro Senectute Kanton Luzern 3 | 20 17 GENERATIONENBEZIEHUNGEN Endlich kann Rosmarie Wermelinger ihr jüngstes Grosskind Yoana (2) wie- der in die Arme nehmen. Als Risiko- person mit einer Herzoperation hatte die 78-Jährige ihre Wohnung wäh- rend des Lockdowns nur ausnahms- weise verlassen. Umso wichtiger war das Telefon. Als sie eines Abends ihre Tochter Patricia anrief, sang diese mit der kleinen Yoana gerade das Gutenacht- Lied. «Ruf später an», sagte sie zur Mutter. Rosmarie Wermelinger schlug vor, sie könnte doch mit dem Gross- kind «Ich ghöre es Glöggli» singen. So begann alles. Von nun an rief Mam, wie sie von den Grosskindern ge- nannt wird, jeden Abend an, sang und betete mit Yoana. Nach «Schutzengeli mein» folgte «Roti Rösli im Garte» oder «Det äne am Bärgli». Zehn Minuten dauerten die Anrufe, und manchmal schlief die Zweijährige während des Singens ein. «So ist in dieser schwierigen Zeit zwischen uns eine ganz besondere Beziehung gewachsen», erzählt die fünffache Grossmutter. Eine neue Art der Beziehung ist auch zu den erwachsenen Enkeln Luca (24) und Jan (25) entstanden. Früher hatte Rosmarie Wermelinger die beiden regelmässig gehütet. Nun gab es einen Rollentausch. «Anfänglich mussten wir Mam ins Gewissen reden, damit sie wirklich zu Hause blieb», erinnert sich Luca. «Ich musste ihnen versprechen, nicht ins Städtchen zu gehen», sagt Rosmarie Wermelinger. Als Bevormundung empfand sie es nicht. Sie spürte die Sorge der Enkel. Während des Lockdowns erle- digten Luca und Jan für Mam alle Aufgaben ausser Haus, vom Einkauf bis zum Botengang zur Post. Rosma- rie Wermelinger lernte schnell, dass sie auf den Einkaufszettel nicht ein- fach «Kartoffeln» schreiben durfte. Sonst lieferten die Enkel einen Drei- kilosack, den sie in ihrem Einperso- nenhaushalt kaum verwerten konnte. Ansonsten klappte die Zusam- menarbeit reibungslos. «Sie haben sich so um mich gekümmert. Ich bin richtig stolz auf meine Grosskinder.» Auch für Luca war es eine positive Erfahrung. Allerdings nicht ohne kritischen Blick auf die ältere Genera- tion: «Oft heisst es, wir Jungen wür- den Anweisungen ignorieren. Corona hat gezeigt, dass auch die Älteren nicht perfekt sind. Jeder muss für sich selber entscheiden. Doch man- ches Verhalten von Seniorinnen und Senioren schien mir schon etwas ver- antwortungslos.» ROSMARIE WERMELINGER (78), WILLISAU Eine neue Art der Beziehung

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