Zenit Nr. 2, Juni 2020

Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 20 29 * Dr. phil. Walter Steffen ist Historiker. Geboren 1945 in Luzern, Städtisches Lehrerseminar und Studien in Zürich und Bologna. 30 Jahre Lehrer für Geschichte, Italienisch und Englisch an den Lehrerseminarien Luzern und Hitzkirch. Seit der Pensionierung ist er Reiseleiter für Italien. die Jesuiten schreibt, «welcher auf dem Fest zu Basel der- massen gewaltig rauschte, dass davon die Rede war, in corpore aufzubrechen und in den Festkleidern, den Fest- wein im Blute, hinzuziehen, um den Jesuiten das Loch zu verstopfen und ihre verrückte Theokratie zu zerstören». Nach 1848 sollten die «Eidgenössischen» mit Umzügen und Festspielen die nationale Versöhnung verkörpern. Doch die Grossanlässe mit Tausenden Beteiligten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich nur eine kleine Schicht von Männern die Teilnahme an den Schützenfesten leisten konnte. Es waren Treffpunkte der liberalen, wirt- schaftlichen und politischen Eliten. Besonders die Katho- liken verweigerten lange die Teilnahme am «Eidgenös- sischen». Die Einbindung der Sonderbundskantone war schwierig. 1861 versuchte es der Bundesrat am Eidgenös- sischen Schützenfest in Stans, gegen den Widerstand der Nidwaldner Regierung und der Pfarrherren. Auch aus der Arbeiterbewegung konstituierten sich Arbeiterschüt- zen-, -musik- und -sportvereine, die sich nicht an «Eidge- nössischen», sondern an ihren eigenen «Schweizerischen» Festen trafen. Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht1848 wurde in der Militärorganisation von 1874 auch die ausser- Eidgenössiches Schützenfest 1910 in Bern (links) und Eidgenössisches Schützenfest 1834 in Zürich. dienstliche Schiesspflicht durchgesetzt und die Schützen- vereine wurden mit der Durchführung der Schiessübungen betraut. Nun entstanden nach und nach in fast allen Orten der Schweiz Schützenstände und Schützenvereine aller Couleur. Als das Schiessen 1896 in Athen olympische Diszi- plin wurde, setzten sich die Sportschützen vom militäri- schen Schiessen ab. Dem «reinen» Sport verpflichtet fühlen sich heute auch die Armbrust- und Bogenschützen – seit 2002 im Schweizer Schiesssportverband integriert. Die Versöhnung und Verschmelzung der konfessions- und parteiorientierten zu wettkampfbetonten, eidgenössi- schen Verbänden dauerte über 100 Jahre. Die oft in Bier- schaum gehüllten Männerfeste mutierten langsam zu Sportveranstaltungen: Die Schützen waren die Ersten, wel- che die Frauen nicht nur als Ehrendamen beim Festumzug zuliessen. Bereits seit 1904 findet das Entlebucher Amts- und Wyberschiessen in der heutigen Form satt. Hatten die wackeren Entlebucherinnen mit ihrem «Wyberschiessen» diese Neuerung errungen? Bei den Turnern ging es länger. Hier durften Frauen erstmals 1972 wettkampfmässig gegeneinander antreten, damals eine «sensationelle» Erneuerung: An den Schweize- rischen Frauenturntagen in Aarau (eine Woche vor dem «Eidgenössischen» der Männer) wurde «das Experiment vonWettkämpfen auch bei den Frauen gewagt». Sie durften sich in Gymnastik und Leichtathletik messen – mit Ranglis- ten und Siegerinnen – und das ein Jahr nach der Einfüh- rung des Frauenstimmrechtes. Bild: Schweizerisches Nationalmuseum Bild: Wikipedia Foto: Studer Otto, Entlebucher Wyberschiessen, 1939. «Es geit bim Schiesse wie bim Wybe, s ' git beidnen Orte g ' fählti Schybe». Entlebucher Wyberschiessen 1939.

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