Zenit Nr. 2, Juni 2020

28 Pro Senectute Kanton Luzern 2 | 20 Regionale Schützenfeste gab es bereits in der alten Eidge- nossenschaft seit 1452. Die Idee eines Schweizer National- festes entstand aber 1798 in der Helvetischen Republik. Ein Volksfest mit sportlichem Wettbewerb sollte patrio- tische Gefühle wecken. Auch die Alphirtenfeste in Un- spunnen von 1805 und 1808 dienten dem nationalen Zusammenhalt. Am Wiener Kongress von 1815 wurde die Schweiz als neutraler Staat anerkannt. Es war ein lockerer Staatenbund von 24 souveränen Kantonen, ähnlich beschluss- und handlungsunfähig wie die heutige EU. Die vorrevolutio- näre «alte Ordnung» wurde restauriert. Doch das Volk war unzufrieden. Der Ruf nach Erneuerung war bereits am ersten Eidgenössischen Freischiessen von 1824 in Aarau spürbar. Doch ein Jahr später kam die Gegenseite zum Zug: Uri, Schwyz und Nidwalden hielten ein «katholisches Urschweizer Gegenschiessen» ab. Nach Pariser Vorbild trat die Masse der Bürger 1830 auch hier aus der Unmündigkeit heraus und organisierte sich in Strassenprotesten und Volksversammlungen. In zehn Kantonen kam es zu libera- len Umstürzen und Verfassungsrevisionen. Der freisinnige Arzt und Philosoph I. P. V. Troxler prägte den Begriff «Rege- neration» für die Zeit von 1830 bis 1848: die Entstehungs- zeit einer freiheitlich-egalitären Staatsordnung und eines nationalen Ganzen. Am «Eidgenössischen» von 1832 in Luzern flammte der «echt vaterländische Geist» auf, denn die ganze Tagsatzung (so hiess die damalige Bundesregie- rung) wohnte dem Schiessen offiziell für einen Tag bei. Die Schützen rekrutierten sich mehrheitlich aus dem städtischen Mittelstand. Dies bezeugt das Mitgliederverzeichnis des Eigenös- sischen Schützenvereins von 1832: über 500 Offiziere, vorab Hauptleute, 125 Schützenmeister, 100 Richter und Juristen, 70 Ärzte, 100 Ratsherren, 100 Wirte. Die meisten der ca. 3000 Mitglieder waren Handwerksmeister. Hilfsarbeiter, Gesellen und Knechte fehlten. Um die Gleichheit der Mit- glieder zu betonen, wurde das Tragen von Uniformen ver- boten. Erlaubt war nur das Abzeichen des Schützenvereins und die Kantonskokarde. Neben den Schützen schlossen sich in dieser Zeit auch Sänger, Turner, Musiker, Künstler, Naturforscher, Historiker, Offiziere, Studenten, Lehrer, Pre- diger und Tierärzte zu eidgenössischen Verbänden zusam- men. Sie waren föderativ organisiert, sprachlich, konfessio- nell und politisch neutral – und bereiteten so den Weg und den Geist für die Bundesverfassung von 1848 vor. Seit dem Luzerner Fest von 1832 begannen sich die Schützenfeste in einen sportlichen und einen politischen Teil aufzuspalten. «Bis 1842 blieben die meisten Festreden – obwohl fast immer mit radikal-liberalen Parolen gespickt – massvoll in Gehalt und Ton», bezeugt Beat Henzirohs in seiner Dissertation über die eidgenössischen Schützenfeste. Doch 1844, am Eidgenössischen zu Basel, tönte es plötzlich anders. Gottfried Keller erfasst die Bürgerkriegsstimmung, wenn er vom «höchst produktiven Hass und Groll» gegen Das 58. Eidgenössische Schützenfest hätte vom 12. Juni bis 12. Juli 2020 in Luzern stattfinden sollen – seit 1832 bereits zum sechsten Mal an die- sem Ort. Bis zu 50 000 Teilnehmende wurden erwartet, der grösste Sport- anlass der Schweiz. Die Coronakrise hat sich auch hier ausgewirkt. BLICK IN DIE GESCHICHTE Die Eidgenössischen Schützenfeste Der Schweizer Schiess- sportverband (SSV) und die Organisatoren des Eidgenössischen Schützen- fests Luzern 2020 (ESF2020) haben gemein- sam entschieden, den wichtigsten Anlass der Schiesssportsaison 2020 um ein Jahr zu verschieben. Das Eidgenössische Schützenfest in Luzern wird neu vom 10. Juni bis 11. Juli 2021 statt- finden. Mit diesem Entscheid legen der SSV und das OK ESF Luzern 2020 höchste Priorität auf die Gesundheit aller beteiligten Sportlerinnen und Sportler, Funktionäre und Helfenden. Ebenso bekundet der Verband mit diesem Entscheid seine Solidarität mit allen Menschen, die von dieser Notlage betroffen sind.

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