Das Tessin ist mit vielen Vorurteilen und Projektionen behaftet: Das Leben dort ist leichter, heiterer als nördlich der Alpen. Das Vorurteil des «dolce far niente» hält sich hartnäckig. Aber die- se Idealisierungen widerlegte bereits Karl Viktor von Bonstetten, Aufklärer und Oberrichter von Lugano (1745–1832), der 1796 die Lebensverhältnisse im Verzascatal mit den Worten beschrieb: «In diesen elendig- lichen Hütten würde keine Deutschschweizer Sau leben wollen.» Tatsäch- lich war das Tessin bis lange nach 1945 eine der ärmsten Gegenden der Schweiz. Die Befreiungsgeschichte des Tessins hat ihren Ursprung im Vertrag von Torre, 1182, welcher als Vorläufer des Bundesbriefes von 1291 gesehen werden kann. Auch er ist keine Staatsgründung, aber ein Bündnis feudaler Familien der Leventina und des Bleniotales gegen die kaiserlichen Vögte in ihren Trutzburgen. Die Urner wollten schon immer den «ganzen Gotthardweg» unter Kontrolle halten. In der Schlacht von Giornico «erlösen» die Urschweizer die Leventiner von der Mailänder Herrschaft. In der Folge übernehmen sie – zusammen mit Verbündeten – Bellinzona und nennen die drei Burgen Uri, Schwyz und Nidwalden – heute Castello Grande, Castello Montebello und Castello Sasso Corbaro. Die Tessiner strichen bewusst die Namen der ehemaligen Besatzungsmächte für diese drei Burgen. Das Tessin – ein Deal mit den Franzosen Nach der siegreichen Schlacht von Novara 1513 überliess der Mailänder Herzog Maximilian Sforza das Tessin Im Mittelalter von den Eidgenossen als Untertanenland erobert und 1803 von Napoleon der Schweiz zugeteilt: Die Geschichte des Kantons Tessin gleicht einem dauernden Wechselbad von Ausbeutung und Bewunderung, von Gewalt und Versöhnung. VON WALTER STEFFEN* Die idealisierte «Schweizer Sonnenstube» den Eidgenossen, als Dank für deren Hilfe im Kampf gegen die Franzosen. Ironie der Geschichte: Obwohl der Franzosenkönig Franz I. bei Marignano 1515 die Eidgenossen besiegt hatte, schenkte er ihnen im «Ewigen Frieden von Fribourg» 1516 das Tessin und den Bünd- nern Chiavenna und das Veltlin. Im Gegenzug vereinbarten die Eidgenossen mit dem französischen König in Luzern ein Soldbündnis: Er erhielt das Recht, im Falle eines Verteidigungskrieges Frankreichs mindestens 6000 und maximal 16 000 Schweizer Krieger in Sold zu nehmen. Diese «Ewige Richtung» von 1521 (welche das zwinglianische Zürich Mediationsakte 1803: Napoleon ver- mittelt zwischen Föderalisten und Uni- tariern.
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